Die EU-Kommission will das Werbeverbot für verschreibungspflichtige Medikamente kippen

Bisher gilt in Europa: Pharmafirmen dürfen keine Reklame für verschreibungspflichtige Medikamente machen. Lobbyisten ist es nur erlaubt, bei Ärzten und Apothekern vorstellig werden. Diese Regelung wollen die Pillen- und Salbenhersteller schon seit langem kippen. Sie fordern Werbefreiheit, wie sie bereits in den USA und Neuseeland gilt.

Schon vor einer Weile ist es ihnen gelungen, die EU-Kommission auf ihre Seite zu ziehen. Die unternahm vor einigen Jahren einen ersten Versuch, das Werbeverbot abzuschaffen, scheiterte damals aber am Widerstand von EU-Parlament und Ministerrat. Nun nimmt sie einen neuen Anlauf. "Es sollte für die Pharmaindustrie möglich sein, Informationen zu verschreibungspflichtigen Medikamenten in Radio- und Fernsehprogrammen zu verbreiten oder durch gedrucktes Material, (...) das durch Ärzte an Patienten verteilt wird", heißt es in dem Vorschlag von Industriekommissar Günter Verheugen (SPD), der im Oktober diskutiert werden soll.

Offiziell begründet die Pharmaindustrie ihr Anliegen mit dem Informationsbedürfnis von Patienten und einer Verbesserung ihrer Position gegenüber Ärzten. Doch tatsächlich geht es darum, den Absatz teurer Medikamente massiv zu steigern. Eine Untersuchung aus den USA belegt, dass die direkte Ansprache chronisch Kranker in Selbsthilfegruppen 4,3 Mal so lukrativ ist wie die Beeinflussung von Ärzten und Apothekern.

Mehr als verständliche Infos

Zwar gelingt vielen Pharmafirmen auch in Europa schon der Kontakt zu Selbsthilfegruppen, nämlich durch die Organisation von Veranstaltungen und Fachvorträgen. Doch Werbung im Internet oder Fernsehen ist offiziell verboten und wird von den Behörden gelegentlich auch geahndet - noch. EU-Kommissar Verheugen versichert, dass sein Vorschlag lediglich darauf abziele, medizinische Fachinformationen in verständliche Sprache zu übersetzen. Wie aber eine Grenze zwischen erlaubter Information und verbotener Werbung gezogen werden kann, ist völlig unklar. Während einige Politiker dafür plädieren, der Europäischen Arzneimittelagentur in London diese Aufgabe zu übertragen, schlägt die Pharmaindustrie eine freiwillige Selbstkontrolle vor.Annette Jensen

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