Die Landverschickung

Die Arbeitsplätze von 430 Call-Center-Beschäftigten in München sind bedroht – die Mitarbeiter sollen nun täglich 300 Kilometer pendeln

Mit schwarzem Luftballon: Uli Knauer, Mitarbeiter im Telekom-Call-Center

Für Uli Knauer ist am Nachmittag des 21. August eine Welt zusammengebrochen. Eine eher heile Welt, trotz seiner Behinderung. Uli Knauer sitzt im Rollstuhl, was zumindest seine Arbeit bisher nicht beeinträchtigte. Er ist Call-Center-Agent bei der Telekom. Jetzt soll seine Arbeitsstätte in München geschlossen werden. Betroffen sind 430 Beschäftigte.

Knauer erzählt, wie der Vorstand die Hiobsbotschaft überbracht hat: "Es war wie in einem schlechten Film. Die haben uns behandelt wie Vieh." Er und seine Kollegen wurden ohne eine Erklärung in Bussen zu einem Hotel verfrachtet; die Türen des Saales wurden verschlossen. Davor standen Bodyguards. Drinnen kam dann die Mitteilung.

Ein Mensch ist doch kein Möbelstück

ver.di vermutet, dass nicht nur das Standortkonzept, sondern auch dieses Szenario im "Kriegsraum" ausgeheckt wurde - im "War-Room", wie so etwas bei der Telekom heutzutage heißt. Deshalb haben viele Mitarbeiter das Gefühl, dass die Telekom ihnen den Krieg erklärt hat und sie aus dem Betrieb mobben will.

"Jeder bekommt ein neues Arbeitsplatzangebot", heißt es bei der Telekom, niemand werde "im Regen stehen gelassen". Dazu sagt Uli Knauer: "Das ist die zynische Sprache der Regenmacher. Ich soll nach Kempten oder Traunstein. Jeden Tag 300 Kilometer fahren, im Schichtdienst. Das geht nicht." Auch ein Umzug sei unzumutbar: "Der Mensch ist doch kein Möbelstück, man hat Freunde und Familie. Für mich als Behinderter zählt das noch mehr. Mir bleibt wohl nur die Kündigung."

Auch Experten schütteln über die Standortschließungen den Kopf. Einerseits liefert die Telekom die Technik für moderne Kommunikation - und verdient damit gutes Geld. Andererseits organisiert der Vorstand das eigene Unternehmen so, als sei noch nicht einmal das Telefon erfunden, und will hunderte Beschäftigte in entlegene Winkel verbannen.

Heinz Ansbach ist ver.di-Vertrauensmann. Seit der letzten Standortschließung muss er täglich von Freising nach München pendeln. "Warum darf ein Unternehmen, das dem Staat zu über 30 Prozent gehört und in dessen Aufsichtsrat ein Vertreter der Bundesregierung sitzt, so agieren?", fragt er und verweist auf die von der Bundesregierung gerne propagierten Ziele: Vereinbarkeit von Beruf und Familie, Schutz der Umwelt, Vermeidung unnötiger Autofahrten, Beschäftigung von Behinderten. Einen sachlichen Grund für die neuen Maßnahmen sieht er nicht: "Dem Kunden ist es egal, wo er den Mitarbeiter der Telekom am Telefon erreicht. Der Kunde wünscht kompetenten Service und der wird durch die Landverschickung von Mitarbeitern nicht besser, sondern schlechter."

Jeden Montag Aktion gegen die Telekom-Politik

Jede Woche organisiert ver.di München nun in dieser Sache Montagsaktionen. Bei einer davon werden symbolisch 400 schwarze Luftballons an den Vorstand nach Bonn geschickt. Uli Knauer ist dabei. Er verfolgt den Flug seines schwarzen Luftballons lange - mit einem sehr skeptischen Blick.