Nationaler Zusammenschluss für den Erhalt öffentlicher Kliniken gegründet

Bürgeraktion in einer Pariser Vorstadt

VON DOROTHEA HAHN

Seit Frankreichs Staatspräsident angekündigt hat, der Gesundheitssektor müsse sparsam und rentabel arbeiten, fürchten die Beschäftigten in den Krankenhäusern der Provinz, dass weitere Einrichtungen geschlossen werden. Mehrere Jahre schon laufen Kampagnen gegen die Ausdünnung der Gesundheitsversorgung. Im September haben Bürgerinitiativen, Lokalpolitiker und Gewerkschaften einen nationalen Zusammenschluss gegründet. "Touche pas à mon hosto" - "Rühr mein Krankenhaus nicht an" - lautet ihr Slogan.

Geburtsstationen betroffen

Die Homepage der Organisation zur Verteidigung der Nachbarschaftskrankenhäuser www.coordination-nationale.org zeigt eine Frankreichkarte mit hunderten Orten, an denen sich die Bevölkerung gegen die Schließung von Krankenhäusern oder Stationen wehrt. Am schwersten betroffen sind Geburtsstationen. Wenn weniger als 300 Babys pro Jahr zur Welt kommen, gehen die Gesundheitsbehörden davon aus, dass eine Station nicht "ausgelastet" ist, und ihr Personal wegen mangelnder Erfahrung nicht die nötige Sicherheit garantiert. In Frankreich, dem Land mit der höchsten Geburtenrate in der EU, nimmt so die Zahl der Geburtsstationen permanent ab. Auch chirurgische Stationen und Notaufnahmen sind Schließungsopfer.

In Saint-Agrève in der Ardèche konnten wochenlange Demonstrationen nicht verhindern, dass in diesem Sommer die Geburtsstation geschlossen wurde. Werdende Mütter müssen jetzt 60 Kilometer über kurvenreiche Straßen bis zur nächsten Geburtsstation fahren. Der Justiz liegt bereits eine Klage wegen mutwilliger Gesundheitsgefährdung vor. In Concarneau in der Bretagne wurde die Notaufnahme auf Spar-Rhythmus umgestellt: Abends und am Wochenende bleibt sie geschlossen. Eine Bürgerinitiative organisiert Protest-Picknicks vor dem Haus.

Sozialarbeiter Bruno-Pascal Chevalier, Mitglied in der nationalen Koordination, sagt: "Wir hatten seit 1945 ein solidarisches Gesundheitssystem. Jetzt entsteht eine Zwei-Klassen-Versorgung. Wer es sich leisten kann, geht in Privatkliniken. Die anderen bleiben auf der Strecke." Aus Protest gegen die Eigenbeteiligung an Medikamenten und Behandlungen trat der Aidskranke im vergangenen Jahr in den Streik. Neun Monate lang verweigerte er jede Behandlung: "Ich wollte zeigen, was jenen mehr als zwei Millionen Beschäftigten und den anderen Bedürftigen passiert, die sich aus finanziellen Gründen keine Medizin mehr leisten können." Zurzeit demonstriert er fast jede Woche an einem anderen Ort.

Bei der französischen Gewerkschaft CGT koordiniert Nadine Prigent die Gesundheitspolitik. Seit den 80er Jahren erlebt sie, wie zigtausende Krankenhausbetten gestrichen wurden, die Personaldecke dünner und der Stress jedes Beschäftigten größer wird. Und wie private Gruppen wie "Vitalia", "Capio" und "Générale de Santé" immer größere Anteile an der Krankenhausversorgung erobern. Für die Gewerkschafterin ist das politisch gewollt: "Öffentliche Krankenhäuser sind für die teure Chirurgie zuständig. Private Kliniken für die rentablen Arbeiten."

Die Perspektiven für die Gesundheitsversorgung der ländlichen Bevölkerung sind nicht gut. Der Staatspräsident will weiterhin nur einen von zwei Beamten, die in Rente gehen, ersetzen. Das bedeutet, dass im öffentlichen Dienst Frankreichs im nächsten Jahr weitere 30627 Stellen verschwinden. An manchen Orten haben die Verteidiger der öffentlichen Krankenhäuser gefährdete Stationen vorerst gerettet. Doch der nationale Krankenhausverband "Fédération Hospitalière" schätzt, dass in den nächsten Monaten 240 weitere Stationen geschlossen werden.