GESELLSCHAFT

Drei Sozialmärkte gibt es in Berlin. Geschafft haben das der Verein Goldnetz und 80 Langzeitarbeitslose, unterstützt vom Senat

Dieser Taler ist für Hartz-IV-Empfänger und Geringverdiener Gold wert.

VON GABRIELE BÄRTELS

Alle Kochbücher sind ausverkauft. Schon eine halbe Stunde nach der Eröffnung des dritten Berliner Sozialmarkts waren sie weg. "Da haben wir was gelernt", sagt der bärtige Verkäufer hinter dem Bücherstand zu seiner Kollegin. "Morgen früh gehen wir ins Lager und holen die ganze Kiste." Der Rumäne, der nicht mit Namen in die Zeitung möchte, ist eigentlich Dolmetscher für mehrere romanische Sprachen, doch auf dem ersten Arbeitsmarkt praktisch nicht vermittelbar.

Das gilt auch für seine Kollegin, mit der er den Bücherstand betreut: Beide sind krank, beide über 50. Doch auf diesem Markt haben sie Arbeit. Er wird drei Tage laufen, da müssen sie ihren Warenbestand kennen und flexibel reagieren. Dass das Jobcenter Berlin- Mitte ihnen diese Stellen im so genannten Öffentlichen Beschäftigungssektor vermittelt hat, halten sie für ein Glück. "Und vom Gehalt kann man sogar leben!"

Die Währung

Als eine verschleierte Kundin an den Stand tritt, auf der Suche nach einem Wörterbuch, hält der Rumäne ihr ein Türkisch-Deutsch-Buch hin. "Arabisch-Deutsch führen wir leider nicht, aber wir gucken bis morgen gern ins Lager." Alle lachen, denn von einem kompletten Sortiment kann natürlich keine Rede sein. Doch die in ordentliche Stapel sortierten Sachbücher, Kinderbücher und Romane verlocken zum Stöbern. Die Kundin kauft schließlich Bilderbücher für ihre Töchter. Da ist die Sprache Nebensache und sie kosten im Dreierpack nur einen Goldtaler.

Der Goldtaler ist die Währung, mit der man hier bezahlt, pro Stück 50 Cent wert. Nur wer nachweisen kann, dass er ALG II bezieht oder über ein Einkommen von unter 900 Euro verfügt, darf am Eingang welche eintauschen und auf dem Sozialmarkt bummeln gehen. Mit den Goldtalern kann man Geschirr, Winterjacken, Bastelarbeiten, Bettdecken, Kinderspielzeug und vieles andere Nützliche oder Dekorative erstehen. Nur technische Geräte nicht, denn niemand möchte das Risiko eingehen, dass sich ein reparierter Toaster beim Kunden in der Küche entflammt. Auch für die Kleinen hat der Markt einiges zu bieten: Kinder schießen auf eine Torwand, fabrizieren johlend riesige Seifenblasen, werfen nach Blechbüchsenpyramiden und holen sich stolz kleine Preise ab.

Die Berliner Sozialsenatorin Heike Knake-Werner (Die Linke) steht derweil noch auf der Bühne und spricht ihre offiziellen Eröffnungsworte. "Ein Sozialmarkt sollte zum Standard einer sozialen Stadt gehören. Als die Bezirksstadträtin mit ihrem Anliegen bei mir auf der Matte stand, habe ich sofort meine Unterstützung zugesagt." Sie bekundet, dass ihr das Projekt eine Herzensangelegenheit sei. Es nütze den hier Beschäftigten - ausnahmslos Langzeitarbeitslose mit erheblichen Vermittlungsproblemen - genauso wie dem bedürftigen Kunden, der sich auf normalen Märkten ausgegrenzt fühlt, weil die Waren für ihn unerschwinglich sind. In Zusammenarbeit mit der Jobagentur Berlin-Mitte und dem Bezirksamt wurden dem Verein Goldnetz e.V. dafür 80 Stellen bewilligt, leider zunächst jährlich befristet.

Der Vorlauf

Goldnetz führt seit 1992 Beschäftigungs- und Qualifizierungsmaßnahmen durch. Das Projekt Sozialmarkt wurde ins Leben gerufen, um Langzeitarbeitslosen eine Tätigkeit anzubieten, die keine hohle Arbeitsbeschaffungsmaßnahme ist, sondern vielfältig Sinn macht. Projektleiterin ist Ute Jaroß. Die energische, rothaarige Frau steht hinter der Senatorin auf der Bühne und blickt über den dritten Sozialmarkt in Berlin. Zwei weitere Sozialmärkte existieren bereits, einer in Spandau seit 2006, der andere in Charlottenburg seit 2007.

Allein zwei Jahre dauerte der Vorlauf für den Markt in Mitte. Werkstätten mussten eingerichtet und Spenden gesammelt werden, um ein wirklich breites Warenangebot zu produzieren und zu präsentieren. Die Stände stellten regionale Betriebe kostenlos zur Verfügung, ein Schreibwaren-Hersteller spendete Buntstifte und Malhefte, die Berliner Tafel bietet Kaffee, Kuchen und Bratwürstchen. In den Goldnetz-Werkstätten wurden von den Mitarbeitern Holzspielzeug, Gipsfiguren, Kerzenhalter gefertigt, gesammelte Kleidung gereinigt und auf Fehler durchgesehen, gebrauchte Fahrräder instand gesetzt. Auch die sind nach einer Stunde ausverkauft, denn sie kosteten nur zwischen sechs und 50 Goldtaler.

Kreativität, Handwerk, Verwaltung, Öffentlichkeitsarbeit - jeder Beteiligte kann sich mit seinen Neigungen und Talenten in das Projekt einbringen. Die Folge: "Null Fluktuation und ein niedriger Krankenstand." Ute Jaroß wehrt sich gegen das Vorurteil, dass Hartz-IV-Empfänger arbeitsscheu seien. "Die meisten Menschen wollen tätig sein. Hier erfahren sie, dass jedes Team wichtig für das ganze Unternehmen Sozialmarkt ist. Russische, türkische, arabische und asiatische Einwanderer arbeiten Hand in Hand und fördern so nebenbei noch die Integration."

Einige unter ihnen werden sich durch ihren Job vielleicht für den ersten Arbeitsmarkt qualifizieren. Aber das ist nicht das wichtigste Ziel: Es gibt nun mal Menschen in unserer Gesellschaft, die eine gewisse "Marktferne" aufweisen, wie es im Behörden-Deutsch heißt. Das können mangelnde Sprachkenntnisse sein, eine Suchtproblematik, keine Ausbildung oder schlicht das Alter. Vereint jemand gleich zwei dieser Vermittlungshemmnisse auf sich, dann ist er auf dem freien Arbeitsmarkt chancenlos. Doch wie alle anderen Menschen braucht auch er Anstoß, Sinn, Struktur, Leistungserfolge und will spüren, dass er nützlich ist. "Vom ersten Tag an schauen wir zu, wie die Leute aufblühen. Sie fühlen sich integriert, und sie schicken ihre Kinder wieder regelmäßig in die Kita, weil sie nun selbst arbeiten gehen. Diese psychosoziale Stabilisierung ist mit Geld nicht zu bezahlen", sagt Ute Jaroß.

Allein die Suche nach einem geeigneten Platz für den Markt nahm ein halbes Jahr in Anspruch. Mit dem Innenhof der Volkshochschule Wedding in Mitte hat Goldnetz ein schönes Fleckchen gefunden. Es ist sonnig, ruhig und für neugierige Blicke unzugänglich. "Schauen Sie sich um: Wie liebevoll die Mitarbeiter die Stände dekoriert haben! Arme Menschen sollen nicht auch noch in Schmuddelecken einkaufen gehen." Auf der kleinen Bühne spielt jetzt ein Country-Trio, während Leute von Stand zu Stand wandern.

Auf einem Haufen Kindersocken liegt ein Preisschild: 1 Goldtaler. "Aber nicht pro Paar", erklärt der Verkäufer gleich, "dafür kriegen Sie drei oder vier Paare." Diesen Preis haben er und seine thailändische Kollegin mit Gefühl und gesundem Menschenverstand selbst festgesetzt. Der Sockenhaufen wird zusehends niedriger. Die Dose mit den Goldtalern füllt sich. Am Stand nebenan lassen zwei türkische Kundinnen Vorhangstoffe durch ihre Finger gleiten.

Soziale Weihnachtsmärkte

Die Zukunft

Noch gibt es Sozialmärkte wie diese nicht überall in der Stadt. Für 2009 ist ein großer Weihnachtsmarkt geplant, der alle drei bisherigen Projekte vereinen soll. Die Sozialsenatorin, Bezirksstadträtin Miriam Scheffler (Grüne) und Ute Jaroß, die Projektleiterin, die nach der Eröffnung noch eine Weile zusammenstehen, sind sich einig: Es ist nicht einzusehen, dass auf Plätzen wie dem prachtvollen Gendarmenmarkt ausschließlich teure Weihnachtsmärkte stattfinden.

Und während sie so reden, wird die nächste Idee geboren. Eine wirft sie in die Runde: "Man sollte unseren Weihnachtsmarkt im Garten des Schloss Bellevue veranstalten."

"Meine Unterstützung haben Sie", versichert die Sozialsenatorin. "Ich finde es richtig, dass solche Märkte in der Mitte der Gesellschaft stattfinden."

Auch die Bezirksstadträtin ist begeistert. "Der Platz wäre ideal. Wie schreibt man denn jetzt an Horst Köhler?"

Das weiß aus dem Stegreif keine, aber in den Köpfen der Verantwortlichen kreisen schon die Anfangssätze, während hinter ihnen fröhlich-betriebsamer Handel und Wandel läuft.

Soziale Weihnachtsmärkte ... in Berlin-Mitte, Antonstr. 37 Fr, 28.11.08 / Sa, 29.11.08, 13 – 18 Uhr Fr, 05.12.08 / Sa, 06.12.08, 13 – 18 Uhr Fr, 12.12.08 / Sa, 13.12.08, 13 – 18 Uhr ... in Berlin-Charlottenburg, Kläre-Bloch-Platz Fr, 28.11.08 / Sa, 29.11.08, 13 – 18 Uhr Fr, 05.12.08 / Sa, 06.12.08, 13 – 18 Uhr Fr, 12.12.08 / Sa, 13.12.08, 13 – 18 Uhr ... in Berlin-Spandau, Zitadellenweg 34 Fr, 28.11.08 / Sa, 29.11.08, 13 – 18 Uhr Fr, 05.12.08 / Sa, 06.12.08, 13 – 18 Uhr Fr, 12.12.08 / Sa, 13.12.08, 13 – 18 Uhr