Die tödlichen Angriffe auf Journalist/innen und auf die Pressefreiheit häufen sich

Von Alvaro Delgado

Fotos ermordeter Journalist/innen in Mexiko-City

Schon während der sieben Jahrzehnte der autoritären Herrschaft der Staatspartei PRI (Partei der institutionalisierten Revolution) war Mexiko alles andere als ein Paradies für freie Meinungsäußerung. Doch heute hat die junge, schwache Demokratie zugelassen, dass Mexiko zu einem lebensgefährlichen Land für Journalist/innen geworden ist. In den acht Jahren der Präsidentschaft durch die rechtskonservative PAN (Partei der nationalen Aktion) stieg die Zahl der Angriffe auf Journalist/innen und Medien Jahr für Jahr. Vom Jahr 2000 bis zum August 2008 gab es laut Bericht der Stiftung Manuel Buendía 668 Angriffe auf Journalist/innen, darunter 42 Morde, 187 Fälle von Körperverletzung und 118 Fälle von Bedrohung und Einschüchterung. Die unabhängige Stiftung arbeitet seit Jahren zu den Themen Aggression gegen Journalist/innen und Pressefreiheit in Mexiko.

Die Kontrollen und Repressionen von Seiten des Staates und der politischen Eliten sind schärfer geworden. Das politische Verhalten der Medien wird mit Zuschlag oder Entzug von Regierungswerbung belohnt oder bestraft. Von Meinungsvielfalt kann - vor allem in Radio und Fernsehen - kaum die Rede sein. Zwei Familien beherrschen mehr als 90 Prozent der landesweit operierenden TV-Kanäle.

Die Zunahme von Angriffen auf Journalist/innen und Medien hat nicht dazu geführt, dass die Regierung die Täter zur Verantwortung zieht. Straflosigkeit ist vielmehr die Regel. Es wird nicht ermittelt, stattdessen geht man gegen Journalist/innen vor, also gegen diejenigen, die die Fälle dokumentieren und untersuchen, ebenso gegen Berufsverbände, Gewerkschaften, Menschenrechtsorganisationen und Nicht-Regierungsorganisationen.

Offene Drohung

Ein Beispiel für die Haltung der mexikanischen Bundesregierung ist die Drohung von Juan de Dios Castro Lozano, stellvertretender Bundesstaatsanwalt für Menschenrechte und führendes PAN-Parteimitglied. Er erklärte die Journalistin Aleida Calleja im April zum Staatsfeind: "Wegen der Behauptungen, die Sie aufstellen, sind Sie ein Staatsfeind!" Eine offene Drohung, ausgesprochen während einer Sitzung der "Internationalen Mission zur Dokumentation der Angriffe gegen Journalisten und Medien in Mexiko", an der 13 nationale und internationale Organisationen teilnahmen, u.a. AMARC, der Weltverband der Comunity-Radios. Aleida Calleja ist Vizepräsidentin von AMARC. Die internationale Delegation war erschüttert, die mexikanische Öffentlichkeit entsetzt.

Um welche Äußerungen der Journalistin ging es dem Regierungsvertreter? Aleida Calleja hatte darauf bestanden, die Morde an Teresa Bautista und Felicitas Martínez müssten aufgeklärt werden. Die beiden indigenen Radio-Moderatorinnen des regierungskritischen Community-Radios "Die Stimme, die das Schweigen bricht" waren am 7. April im Bundesstaat Oaxaca ermordet worden.

Bestenfalls Gleichgültigkeit

Die Anfeindungen des stellvertretenden Bundesanwalts sind ein Beleg mehr für die Haltung der Regierung zur Gewalt gegen Journalist/innen - eine Haltung, die bestenfalls Gleichgültigkeit zeigt, wenn nicht geheimes Einverständnis. Die offizielle Politik und das Klima der Gewalt im Land sind härter geworden, spätestens nach dem "Krieg", den die Bundesregierung vor zwei Jahren dem organisierten Verbrechen wie den Drogenkartellen erklärt hat. Seitdem sind 6000 Tote zu verzeichnen. Auch Journalist/innen stehen allzu oft im Kreuzfeuer oder werden zu Opfern der Anschläge unterschiedlicher Akteure.

Die Gewaltspirale wird im Bericht der Internationalen Mission dokumentiert. Die Delegation hatte mit Chefredakteur/innen, Journalist/innen und Angehörigen von ermordeten oder verschwundenen Journalist/innen gesprochen, ebenso mit Vertretern des Staates wie Castro Lozano. Schon der Titel des Berichts trifft die Situation: "Pressefreiheit in Mexiko: Der Schatten der Straflosigkeit und Gewalt".

Die Analyse ist präzise. Korruption und Aggressionen von Polizei und Strafverfolgungsbehörden gegen Journalist/innen werden beschrieben. Deutlich wird auch, dass es der Bundesregierung und den Regierungen der einzelnen Bundesstaaten in Mexiko am politischen Willen fehlt, Gewalt gegen Journalist/innen zu verhindern oder zu ahnden.

Die Folgen der Situation sind die immer stärker werdende Selbstzensur bei den Medien und das Gefühl der Schutzlosigkeit bei den Journalist/innen. Einige geben ihren Beruf auf, andere verlassen das Land, in dem eine schwache Demokratie das Recht auf freie Meinungsäußerung nicht garantieren kann.

Übersetzung: Jürgen Moritz