Friedrich Graffe, Sozialreferent der Stadt München, über den neuen Armutsbericht

MÜNCHEN | Nicht selten heißt es: München ist fast unbezahlbar. In vielerlei Hinsicht ist München aber auch wieder besser dran als andere Städte: Die Arbeitslosigkeit ist geringer, die Haushaltssituation in Ordnung, die Bürger/innen können sich auf städtische Dienstleistungen und Freizeiteinrichtungen verlassen. Kinder- und Bildungseinrichtungen sind vergleichsweise gut vorhanden. Allerdings profitieren nicht alle Menschen davon. Das Leben in der Stadt ist teuer; das trifft besonders Haushalte mit Kindern. Darauf hat kürzlich der Sozialreferent der Landeshauptstadt, Friedrich Graffe (SPD), hingewiesen. ver.di PUBLIK hat mit ihm darüber gesprochen.

ver.di PUBLIK | Herr Graffe, was beklagen Sie an der Situation der Familien in München?

FRIEDRICH GRAFFE | Wer genug Einkommen hat, schätzt München als attraktiven Lebensstandort. Der neue Armutsbericht, der im November im Stadtrat vorgestellt wird, zeigt aber, dass viele Familien die hohen Lebenshaltungs- und Wohnkosten nicht mehr mit eigenem Einkommen bezahlen können. 21000 Kinder bekommen in München Sozialgeld, weil ihre Eltern nicht genug Einkommen haben und deswegen auf Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch II angewiesen sind. 2004 lebten noch 14300 Kinder von Sozialhilfe. Die Regelsätze - ein 14-jähriges Kind bekommt 225 Euro im Monat - sind bundesweit gleich und nicht an die Lebenshaltungskosten angepasst. So fehlt in München vielen Familien das Geld für Schulausstattung, oft auch zum Mittagessen. Nach Schätzungen des Sozialreferats können sich etwa 4000 Schüler/innen das Mittagessen im Hort, in der Mensa oder in der Mittagsbetreuung nicht leisten.

ver.di PUBLIK | Was müsste geschehen?

GRAFFE | Der Bund müsste den Regelsatz erhöhen und für bestimmte, immer wieder auftretende Sonderfälle sollten Einmalzahlungen ermöglicht werden. Wichtig ist außerdem, dass die Einkommen armutsfest sind und die Menschen davon leben können. Dazu gehört ein Mindestlohn.

ver.di PUBLIK | Vieles müsste vom Bund und vom Land gemacht werden. Was aber kann die Stadt unternehmen?

GRAFFE | Armutsbekämpfung ist ein wichtiges Ziel des Sozialreferats. Da Arbeitslosigkeit das größte Armutsrisiko ist, zahlt der Stadtrat 25 Millionen Euro im Jahr für das kommunale Beschäftigungs- und Qualifizierungsprogramm, um arbeitslose Menschen für den Arbeitsmarkt zu qualifizieren. Die Leitlinie Kinder- und Familienpolitik bündelt alle kinder- und familienpolitischen Aktivitäten der Stadt München. Daneben arbeiten wir mit Hochdruck am Ausbau von Kinderkrippen, Eltern-Kind-Initiativen und der Betreuung von Tageseltern. Bis zum Jahr 2013 sollen 7900 zusätzliche Plätze entstehen, damit 43 Prozent der bis zu Dreijährigen betreut werden können. Dafür investiert die Stadt 137 Millionen Euro. Außerdem hat der Stadtrat eine Million zur Verfügung gestellt, um die Bildungschancen von allen Kindern und Jugendlichen zu erhöhen und um die Elternkompetenz zu stärken.

Interview: Ernst Edhofer