Beschäftigte streiken erfolgreich für höhere Einkommen wie in anderen Bundesländern

Sie haben nicht aufgegeben

VON HERMANN SCHMID

Und er bewegt sich doch, der rot-rote Senat in Berlin: Am 11. November - in den Redaktionsschluss dieser Ausgabe hinein - fand er sich endlich bereit zu Tarifverhandlungen mit den Gewerkschaften ver.di, GdP, GEW und IG BAU. Der tags zuvor begonnene, auf acht Tage angelegte Streik zeigte offenbar Wirkung: In Kitas und Schulhorten, im Landesdienst, in Bezirksämtern und Senatsverwaltungen ließen Beschäftigte ihre Arbeit ruhen.

Sie forderten einen Einkommensanstieg wie in den anderen Bundesländern: drei Einmalzahlungen von jeweils 300 Euro und 2,9 Prozent mehr. Verhandelt wird nun über einen Sockelbetrag und den Anschluss Berlins ans neue Tarifrecht. Die Streikenden waren sich einig: "Bessere Bezahlung als bei Wowereit gibt es überall." So hatten sie ihre Dienste symbolisch schon anderen Bundesländern angeboten.

Der längste Streik

"Wir sind darauf eingerichtet, notfalls auch über längere Zeit zu streiken", betont Verhandlungsführerin Astrid Westhoff, denn "ver.di hat einen langen Atem". Schon jetzt ist dies der längste Streik in Deutschlands öffentlichem Dienst. Begonnen hat er Anfang Mai 2008 unter anderem in den zwölf Ordnungsämtern der Bezirke. Weniger "Knöllchen" freuten die Berliner Autofahrer/innen, die Einnahmen aber fehlten in den Bezirkskassen. Seither sind immer wieder unterschiedliche Bereiche des öffentlichen Dienstes in den Arbeitskampf einbezogen worden. Naturgemäß waren davon auch Bürger/innen betroffen - etwa wenn sie ihr Auto zulassen, ihren Personalausweis beantragen, ihre Wohnung ummelden oder ihr Kind unterbringen wollten.

Die Verantwortung für diese Schikanen trägt Berlins rot-roter Senat: Erst weigerte er sich, über höhere Einkommen überhaupt zu verhandeln. Dann bestritt er den Gewerkschaften das Recht zu streiken. Im Juni gab er dem Druck der Beschäftigten ein Stück weit nach, bot für 2008 eine Einmalzahlung von 300 Euro und ab Mitte 2009 einen Sockelbetrag von 50 Euro. Im Juli schließlich verkündete er, außertariflich zahlen zu wollen: jeweils einmalig 300 Euro für 2008 und 2009 und je 100 Euro für die Auszubildenden. Den Beamt/innen will er das Weihnachtsgeld um 300 Euro erhöhen, den Pensionär/innen um 150 Euro. Doch das reicht bei weitem nicht aus. Denn 300 Euro im Jahr sind gerade mal 82 Cent pro Kalendertag. Wer also im Monat beispielsweise 2500 Euro brutto verdient, bekäme lediglich ein Prozent mehr, das aber noch nicht einmal in der Entgelttabelle wirksam würde.

Dabei üben die Beschäftigten schon seit fünf Jahren Verzicht: Im August 2003 wurden ihre Einkommen und Arbeitszeiten - abhängig von der Lohn- oder Vergütungsgruppe - um acht, zehn oder zwölf Prozent gekürzt. Dieser so genannte "Anwendungstarifvertrag" kann frühestens zum 31. März 2010 gekündigt werden. Prozentual erhöht wurden die Einkommen in Berlins öffentlichem Dienst zuletzt im Mai 2004 - um nur ein Prozent.

Inzwischen aber stiegen sie in den anderen Bundesländern und Kommunen: Für die Jahre 2005 bis 2007 gab es Einmalzahlungen - dreimal 300 Euro - sowie 2,9 Prozent mehr zum 1. Januar 2008 in den westlichen und zum 1. Mai 2008 in den östlichen Ländern, in den Kommunen sogar noch mehr.

Weil Berlin im Januar 2003 aus den Arbeitgeberverbänden des öffentlichen Dienstes ausgetreten ist, wird dieses Tarifergebnis zwar nicht automatisch auf dessen Beschäftigte übertragen. Der Anwendungstarifvertrag sieht aber ausdrücklich vor, dass sie dafür streiken dürfen. Das taten sie mit Elan.