Ausgabe 12/2008
Branchen verschwinden - aber nicht geräuschlos
Über das zwangsläufige Ende des fossilen Kapitalismus
Dr. Wolfgang Sachs leitet am Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie das Querschnittsprojekt "Globalisierung und Nachhaltigkeit" und ist für die Studie Zukunftsfähiges Deutschland* verantwortlich.
ver.di PUBLIK | Die Finanzkrise hat die Realwirtschaft erreicht. Steckt darin neben allen Gefahren auch die Chance umzusteuern, wie Sie es seit Jahren fordern?
WOLFGANG SACHS | Natürlich ist die aktuelle Krise in erster Linie voller Risiken. Wir Deutschen wissen, wozu es führen kann, wenn die wirtschaftliche Basis für den Lebensunterhalt vieler Menschen weggerissen wird. Konjunkturmaßnahmen sind deshalb unbedingt notwendig. Was wir aber nicht brauchen, ist ein traditioneller Keynesianismus, der bedingungslos versucht, die Wirtschaft anzukurbeln - ohne nach Qualität zu fragen. Es käme jetzt darauf an, die Rettung der Finanzmärkte und der Wirtschaftsdynamik mit der Rettung des Klimas zu verbinden. Denn die im Hintergrund lauernde Naturkrise hat eine noch weitaus bedrohlichere Dimension als die Finanzkrise.
Spritfresser, die keiner mehr will: Halden importierter Autos im Hafen von Long Beach, Kalifornien
ver.di PUBLIK | Wo sollte der Staat investieren?SACHS | Wenn schon öffentliches Geld eingesetzt wird für die Sanierung der Privatwirtschaft, dann müssen Unternehmen damit in Richtung Allgemeinwohl gedrängt werden. Die wichtigsten Aspekte dafür sind eine soziale Grundabsicherung sowie eine ressourcenleichte, klimafreundliche Ökonomie zu bauen.
ver.di PUBLIK | Bei der Debatte über die Hilfen für die Autoindustrie heißt es häufig: Klimaschutz können wir uns jetzt nicht leisten, zunächst müssen die Arbeitsplätze gerettet werden.
SACHS | Die Unternehmen sind in die Sackgasse gefahren mit ihrer Strategie, auf Prestige, Geschwindigkeit und Maschinentriumph zu setzen. Es ist absurd, wenn der Kauf jedes Autos jetzt steuerlich unterstützt wird. Wenn der Staat hier überhaupt etwas tun will, hätte er das mindestens an den EU-Grenzwert von maximal 120 g Kohlendioxid binden müssen. Auch arbeitsmarktpolitisch ist es nicht sinnvoll, sich auf die großen Unternehmen zu fixieren.
ver.di PUBLIK | Was schlagen Sie vor?
SACHS | Ein sinnvolles Antirezessionsprogramm für Deutschland bestünde darin - und zum Teil wird das schon angestrebt -, den gesamten Gebäu- debestand energietechnisch zu sanieren. Das wirkt schnell und unterstützt wirtschaftlich sehr viele, insbesondere auch kleinere und mittelständische Unternehmen. Auch für den Arbeitsmarkt wäre das sehr sinnvoll, weil sich damit viele neue und zukunftsträchtige Geschäftsfelder auftun. Denn es sollte dabei nicht nur um Fragen der Wärmedämmung gehen, sondern Gebäude sollten in großem Umfang zu Produktionsstätten für Energie werden. Es gibt ja bereits Neubauten, die mehr Energie erzeugen als sie verbrauchen. Wenn im Bestand massiv regenerative Energien, Kraftwärmekopplung und Nahewärmenetze gefördert würden, wäre das ein überaus sinnvolles technisches und soziales Projekt.
ver.di PUBLIK | Was verstehen Sie unter einem zukunftsfähigen Deutschland?
SACHS | Eine Ökonomie zu bauen, die ihre Dynamik innerhalb von zwei Leitplanken entfaltet: einerseits der Integrität der Ökosysteme und andererseits der Achtung der Menschenrechte. Zukunftsfähigkeit definiert sich ja auch in globaler Nachbarschaft. Die Öffnung der Grenzen in vielen südlichen Ländern ist zur Katastrophe für Kleinbauern und Kleingewerbe geworden, weil subventionierte Lebensmittel und hochtechnische Investitionsgüter in die Länder hineinrauschen und sie keine Möglichkeit mehr haben, sich dagegen zu schützen. Das hat die globale Verarmung massiv vorangetrieben. Eine stärkere Regulierung hätte natürlich auch Auswirkungen auf die deutsche Exportwirtschaft: Sie müsste ihre Profitorientierung und Marktbeherrschung ein Stück zurückstecken.
ver.di PUBLIK | Wie wird sich unser Alltag verändern, wenn Deutschland in diesem Sinne zukunftsfähig wird?
SACHS | Wenn die Preise die ökologische und soziale Wahrheit sprechen sollen, dann werden sie steigen müssen. Denn die gegenwärtigen Billigpreise entstehen ja zum einen dadurch, dass man die Natur ausbeutet und belastet, ohne die dabei entstehenden Kosten abzudecken. Zugleich sind die Löhne oft so katastrophal niedrig, dass viele Menschen nur überleben können, wenn sie zum Beispiel durch extrem lange Arbeitszeiten ihre Gesundheit ruinieren.
ver.di PUBLIK | Aber auch bei uns kommen viele Leute mit einer 40-Stunden-Woche nicht über die Runden. Wie sollten Sie denn da noch höhere Preise zahlen?
SACHS | Sie kommen heute nicht deshalb nicht über die Runden, weil das Leben so teuer ist, sondern weil die Einkommen und Lebenschancen mittlerweile so ungleich verteilt sind. Deshalb ist für uns als Autoren der Studie Zukunftsfähiges Deutschland auch ganz klar, dass mehr Teilhabe und Umverteilung notwendig sind. Umweltpolitik muss zugleich auch Sozialpolitik sein. Die Schere der Ungleichheit darf nicht weiter aufklappen. Die Menschen werden nur bereit sein, beim ökologischen Übergang mitzumachen, wenn es fair dabei zugeht.
ver.di PUBLIK | Ähnliche Ideen gibt es ja schon lange, aber solche Vorschläge hatten bisher keine Chance, sich durchzusetzen.
SACHS | Nicht nur die aktuelle Finanzkrise zeigt, dass die Verhältnisse instabil sind. Vielerorts herrscht auch bei den Eliten Ratlosigkeit, wie ein Wirtschaftssystem wie das gegenwärtige gesteuert werden kann. Und 30 Jahre, nachdem man begonnen hat, fast sämtliche Sozialkontrakte aufzukündigen, setzt sich jetzt an vielen Stellen die Überzeugung durch, dass das gegenwärtige System auf keinen Fall so weitergeführt werden kann. Die Ausbreitung unseres Wirtschafts- und Entwicklungsmodells auf Länder wie China und die massive Deregulierung des Weltmarkts haben uns schließlich rasant in Richtung des planetarischen Abgrunds gebracht. Das weiß heute jeder. Die Zeiten des auftrumpfenden Neoliberalismus sind vorbei.
ver.di PUBLIK | Wie kriegt man den Geist zurück in die Flasche?
SACHS | Natürlich brauchen wir auch künftig eine Welthandelsorganisation - aber sie muss ganz andere Aufgaben übernehmen als bisher. Nicht umsonst ist sie in den letzten Jahren im Sand stecken geblieben. Sie müsste beispielsweise Grundprinzipien für internationale Investitionen festlegen. Der Faire Handel, der heute nur einen winzigen Teil des Welthandels ausmacht, könnte eine Keimzelle sein für andere Strukturen der Weltwirtschaft - und da würde ich mir auch von den Gewerkschaften mehr Engagement wünschen. Aus Umweltsicht spricht nichts gegen Privatbesitz, Gewinn und Konkurrenz, aber bei der Nutzung von Ressourcen muss es klare Grenzen geben. Wie man früher zum Beispiel durch die Einführung von Sozialversicherungen den Kapitalismus eingezäunt hat, so geht es jetzt darum, Institutionen zu bauen, um die ökologischen Risiken des Kapitalismus abzuwehren.
Wenn Preise die Wahrheit sprechen sollen, müssen sie steigen
ver.di PUBLIK | Wer tritt hier auf die Bremse?
SACHS | Die Hauptbremse ist der fossile Kapitalismus. Das sind vor allem die Öl-, Auto- und Zementindustrie und außerdem das Agrobusiness.
ver.di PUBLIK | Das Öl wird über kurz oder lang knapp. Verschwinden diese Branchen damit ganz von selbst vom Markt - oder rechnen Sie mit politischen Vorgaben aus Klimaschutzgründen?
SACHS | Diese Branchen werden zwangsläufig verschwinden - aber nicht geräuschlos. Man weiß ja, dass das Öl zu Ende geht und viele Leute warnen davor, dass es zu einer Explosion des Ölpreises kommt in dem Moment, wenn das Fördermaximum überschritten ist. Ein neuer Schock für die Weltwirtschaft ist also absehbar - es sei denn, es kommt zu einer klugen internationalen politischen Intervention für einen geordneten Ausstieg, bei dem auch Bedürfnisse der Ärmeren eine Rolle spielen.
ver.di PUBLIK | Sind wir in Deutschland auf dem richtigen Weg?
SACHS | Unter den Blinden ist der Einäugige König. Relativ zu anderen Ländern steht Deutschland nicht schlecht da. Aber ich wäre nicht überrascht, wenn mit dem Antritt Barack Obamas die USA energisch versuchen würden, die Vorreiterschaft auf dem Weg in eine grüne Ökonomie zu erobern. Auch Teile der chinesischen Wirtschaft könnten sich in diese Richtung entwickeln, so dass in 20 Jahren vielleicht der Vorreiter Europa zum Nachzügler wird.
ver.di PUBLIK | Sie sind also optimistisch, dass die Menschheit die Kurve kriegt.
SACHS | Das Wort optimistisch gefällt mir hier nicht. Die Frage ist nicht, ob die Menschheit die Kurve kriegt, sondern zu welchen Kosten: Wer muss dran glauben, und wie wird der Umbruch durchgesetzt - demokratisch oder mit Gewalt?
ver.di PUBLIK | Welche Rolle sollten die Gewerkschaften spielen?
SACHS | Es gibt bei den Gewerkschaften immer eine Vorder- und eine Hinterbühne. Die Vorderbühne genießt große Aufmerksamkeit. Dort geht es um die Einkommen und die Mitwirkungsmöglichkeiten in der Gegenwart. Meist nur auf der Hinterbühne wird thematisiert, wohin sich die Wirtschaft entwickelt - und damit das langfristige Schicksal der Belegschaften. Ich finde, die Gewerkschaften müssten sich viel mehr der Hinterbühne widmen. Denn wenn man in einer Branche arbeitet, die aus übergeordneten Gründen wenig Zukunft hat, dann nützt es einem auf Dauer nichts, wenn man jetzt auf der Vorderbühne viel herausschlägt.interview: annette jensen
* zukunftsfähiges deutschland in einer globalisierten welt - ein anstoss zur gesellschaftlichen debatte. eine studie des wuppertal instituts für klima, umwelt, energie. Fischer Taschenbuch, 600 Seiten, 14,95 Euro
Arbeit fair teilen
Permanentes Wachstum ist keine Lösung für die Arbeitslosigkeit. Zwar finden bei guter Konjunktur mehr Menschen einen Job. Doch Millionen bleiben auch dann weiter außen vor. Um das Problem wirklich anzugehen, muss die Erwerbsarbeit gerechter verteilt werden. Das ist eine zentrale Aussage der Studie Zukunftsfähiges Deutschland, die das Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie erarbeitet hat.
Noch nie gab es in Deutschland so viel Reichtum wie zu Beginn des 21. Jahrhunderts. "Mit immer weniger Arbeitskraft und in immer kürzerer Zeit können immer mehr Güter hergestellt und Dienstleistungen erbracht werden." Musste ein statistischer Durchschnittsverdiener 1960 noch eine Viertelstunde arbeiten, um sich nach Feierabend eine Flasche Bier zu leisten, so sind es heute nur drei Minuten. Und auch für die Anschaffung eines Kühlschranks waren vor 50 Jahren sechsmal so viel Arbeitsstunden zu veranschlagen wie heute. "Die produktiven Fähigkeiten unserer Gesellschaft können genutzt werden, um für alle in Deutschland lebenden Menschen auskömmliche Beschäftigungsverhältnisse zu schaffen."
Notwendig dafür wäre es, die 30-Stunden-Woche als Vollzeitarbeit zu definieren, fordert das Wuppertal Institut. Das hätte darüber hinaus den Vorteil, dass alle Menschen auch die Chance hätten, für Kinder oder Alte zu sorgen oder sich anderweitig zu engagieren. Ein gesetzlicher Mindestlohn sei dafür eine wichtige Voraussetzung. Dass heute Vollzeit arbeitende Menschen den Staat um Unterstützung bitten müssten, sei ein "Skandal", so das Institut.
Eine materielle Umverteilung sollte allerdings vor allem auch die Vermögenden mit einbeziehen. In fast keinem anderen Industrieland ist die Einkommensschere in den letzten Jahren so weit auseinander gegangen wie in Deutschland, kritisiert auch die OECD. Ursache ist vor allem der immense Vermögenszuwachs der Reichen. AJE
Wenn Preise die Wahrheit sprechen sollen, müssen sie steigen
Arbeit fair teilen
Permanentes Wachstum ist keine Lösung für die Arbeitslosigkeit. Zwar finden bei guter Konjunktur mehr Menschen einen Job. Doch Millionen bleiben auch dann weiter außen vor. Um das Problem wirklich anzugehen, muss die Erwerbsarbeit gerechter verteilt werden. Das ist eine zentrale Aussage der Studie Zukunftsfähiges Deutschland, die das Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie erarbeitet hat.
Noch nie gab es in Deutschland so viel Reichtum wie zu Beginn des 21. Jahrhunderts. "Mit immer weniger Arbeitskraft und in immer kürzerer Zeit können immer mehr Güter hergestellt und Dienstleistungen erbracht werden." Musste ein statistischer Durchschnittsverdiener 1960 noch eine Viertelstunde arbeiten, um sich nach Feierabend eine Flasche Bier zu leisten, so sind es heute nur drei Minuten. Und auch für die Anschaffung eines Kühlschranks waren vor 50 Jahren sechsmal so viel Arbeitsstunden zu veranschlagen wie heute. "Die produktiven Fähigkeiten unserer Gesellschaft können genutzt werden, um für alle in Deutschland lebenden Menschen auskömmliche Beschäftigungsverhältnisse zu schaffen."
Notwendig dafür wäre es, die 30-Stunden-Woche als Vollzeitarbeit zu definieren, fordert das Wuppertal Institut. Das hätte darüber hinaus den Vorteil, dass alle Menschen auch die Chance hätten, für Kinder oder Alte zu sorgen oder sich anderweitig zu engagieren. Ein gesetzlicher Mindestlohn sei dafür eine wichtige Voraussetzung. Dass heute Vollzeit arbeitende Menschen den Staat um Unterstützung bitten müssten, sei ein "Skandal", so das Institut.
Eine materielle Umverteilung sollte allerdings vor allem auch die Vermögenden mit einbeziehen. In fast keinem anderen Industrieland ist die Einkommensschere in den letzten Jahren so weit auseinander gegangen wie in Deutschland, kritisiert auch die OECD. Ursache ist vor allem der immense Vermögenszuwachs der Reichen. AJE