Wolfgang Uellenberg ist Bereichsleiter Politik und Planung beim ver.di-Vorstand

Wieder einmal hat eine internationale Studie der OECD Deutschland das bescheinigt, was wir in Berlin und anderen Städten unseres Landes tagtäglich erleben: Immer mehr Menschen werden ärmer, wenige aber immer reicher. In den letzten fünf Jahren ist unser Land gar unter die Spitzenreiter der sozialen Ungleichheit aufgerückt, nur noch Norwegen, Kanada und

die Vereinigten Staaten können mithalten, wenn es um die immer größere Ungleichheit der Vermögen und der Einkommen geht. Vor allem die Schere zwischen den niedrigen und den höchsten Einkommen öffnet sich immer weiter. Spitzenverdiener sind Männer in Führungspositionen, am unteren Ende der Einkommensskala stehen Frauen, die für 400 Euro im Monat hart arbeiten müssen.

Die Erosion des Tarifvertragssystems, ein negativer Lohndrift in vielen Unternehmen, aber auch eine von den Arbeitgebern seit langem geforderte Spreizung der Löhne haben die Kluft zwischen niedrigen und den höchsten Einkommen immer weiter wachsen lassen. Die Arbeitsmarktreformen der letzten Jahre und der damit verbundene Zwang, jede Arbeit annehmen zu müssen, üben Druck auf die aus, die einen Arbeitsplatz haben oder einen Arbeitsplatz suchen. Die Folge: 30 Prozent aller Beschäftigten arbeiten im Niedriglohnsektor, davon verdienen fünf Millionen weniger als 7 Euro 50 die Stunde, zwei Millionen erhalten weniger als fünf Euro.

Arbeit macht arm und auch die Transferleistungen des Staates, der Armut mit Kindergeld, Wohngeld und anderen Leistungen aufstocken kann, wurden in den letzten Jahren immer weiter gekürzt. Vor allem die Regelsätze für Kinder und Jugendliche, deren Eltern ALG II bekommen, sind ein Skandal. Obwohl jeder Sozialstatistiker und Familienrichter vorrechnen kann, dass Kinder und Jugendliche oft mehr Geld benötigen als ihre Eltern, für gute Ernährung, für Kleidung, für Spielsachen, für ihre Schulbildung, erhalten sie deutlich geringere Regelsätze nach dem SGB II als die Erwachsenen. Familien mit vielen Kindern und Alleinerziehende haben in Deutschland ein hohes Armutsrisiko. Das ist eines modernen Sozialstaates unwürdig und ein trauriger Beleg dafür, mit welcher Härte und Rücksichtslosigkeit so genannte Arbeitsmarktreformen exekutiert wurden.

Hinzu kommt der systematische Abbau sozialer Leistungen des Staates: Weil in den letzten 20 Jahren 185 Milliarden Euro dem Staat durch immer neue Steuersenkungen entzogen wurden, fehlt es überall an Geld, um das soziale Netz wieder dichter zu knüpfen, Menschen in den Arbeitsmarkt zu integrieren, Bildung und Erziehung auszubauen und die soziale Stadt zu fördern. Sozialwissenschaftler sprechen von einer wachsenden Ausgrenzung vieler Menschen aus der Gesellschaft. In anderen Ländern wie in Frankreich revoltieren die Ausgeschlossenen, brennen Busse und wagt sich die Polizei nur noch in Kompaniestärke in bestimmte Stadteile.

Wir brauchen eine radikal andere Politik der Umverteilung von Reichtum und Lebenschancen in unserer Gesellschaft. Die 185 Milliarden Euro, die dem Staat entzogen wurden, hat die Politik, denen, die viel haben, hinterher geschmissen - Steuerprivilegien für Investmentfonds, Aussetzung der Vermögenssteuer, Steuerfreiheit für Veräußerungsgewinne beim Verkauf von Unternehmensanteilen, mehrere Senkungen der Unternehmensteuer - so dass im Jahr 2001 die Hundesteuer mehr als die Körperschaftssteuer einbrachte. Dies war Ergebnis einer Politik, die um die internationalen Kapitalanleger buhlt, getreu dem Motto, die Türen für das globale Kapital so weit wie möglich zu öffnen, um das "scheue Reh" ins Land zu locken.

Das dicke Ende erleben wir in diesen Monaten: Milliarden wurden auf den internationalen Finanzmärkten verbrannt, weil die immensen Spekulationsblasen platzen, mit denen die Reichen ihr Geld vermehren wollten. Weil die Profiteure der Umverteilung von unten nach oben in Windeseile Renditen von zehn oder gar 25 Prozent erzielen wollten, haben die immer findigeren Anlageberater und Investmentbanker alle die vielen Wertpapiere ersonnen, die sich nun weltweit als faule Eier herausstellen. Geiz mag geil sein, aber Gier macht dumm. Wir sollten uns über eines im Klaren sein: Es gibt prinzipiell zwei Auswege aus der Krise. Entweder, es wird umverteilt von oben nach unten, indem die Massenkaufkraft der unteren und mittleren Bevölkerungsschichten gestärkt, Armut bekämpft, in Bildung und Ausbildung und in lebenswerte Städte und vieles andere sinnvolle investiert wird. Oder aber die, die viel hatten und einiges verloren haben, lösen die Krise erneut zu Lasten des Sozialstaates, der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und derer, die immer weniger haben. Dies würde den sozialen Zusammenhang unserer Gesellschaft endgültig zerreißen.

Im Jahr 2001 brachte die Hundesteuer mehr ein als die Körperschaftssteuer