Die Sozialisierung von Verlusten des Bankensektors ist nur zu rechtfertigen, wenn das internationale Finanzkasino geschlossen wird

von HEINER FLASSBECK und FRIEDERIKE SPIECKER *

Als die Finanzmärkte noch strahlten: Lichtinstallation in Frankfurt/Main zur Fußball-WM 2006

Erst ein 500 Milliarden Euro schwerer Rettungsschirm für die Banken, dann ein 50 Milliarden Euro schweres Konjunkturprogramm II und jetzt auch noch die Diskussion um eine große oder viele kleine Bad Banks, an die die Banken die Schrottpapiere, auf denen sie in ihren Bilanzen sitzen, zu derzeit unrealistischen Kursen auf Kosten des Steuerzahlers verkaufen können - da schaudert es viele zu Recht, und man fragt sich, ob so viel Geld in ein total verrottetes Bankensystem gesteckt werden sollte.

Es ist aber leider so: Kein Land kann es sich leisten, sein Finanzsystem zusammenbrechen zu lassen, weil ein funktionierendes Kreditwesen für eine monetäre Marktwirtschaft ein öffentliches Gut ist. Geld in allen seinen Formen - Bar-, Buchgeld, Wertpapiere beziehungsweise Kredite - ist unersetzlich, da der ansonsten notwendige Realtausch eine hoch arbeitsteilige Wirtschaft völlig lahm legt. Als Investitionsmittel hat Geld eine überragende, wenn auch von vielen verkannte Bedeutung für die Entwicklung einer Marktwirtschaft: ohne Kredite keine Investitionen, ohne Investitionen kein Produktivitätsfortschritt und kein Wachstum.

Es droht ein Kollaps

In der gegenwärtigen Finanz- und Wirtschaftskrise ist, im Gegensatz zu den meisten früheren Finanzkrisen und Abschwüngen, das öffentliche Gut "Kreditwesen" national und international so in Gefahr, dass ein Kollaps der Weltwirtschaft droht, wenn man jetzt nicht gegen den ehernen Grundsatz der Marktwirtschaft verstößt, nicht nur Gewinne zu privatisieren, sondern auch Verluste.

Um das zu verstehen, muss man zunächst begreifen, wie das System in Abschwungphasen normalerweise funktioniert. Es ist keineswegs neu, dass sich alle einzelwirtschaftlichen Akteure immer prozyklisch verhalten. Im Abschwung bedeutet das, dass alle Wirtschaftssubjekte vorsichtiger, abwartender handeln, auch die Banken. Wegen Absatzproblemen und Zahlungsausfällen der Unternehmen, wegen zunehmender Arbeitslosigkeit und entsprechend geringerer oder ausfallender Arbeitseinkommen werden manche Unternehmens- und Konsumentenkredite faul. Folgerichtig legen die Banken strengere Maßstäbe an die Bonität ihrer Kreditkunden an und verschärfen die Kreditkonditionen. Gleichzeitig sinkt aber auch die Kreditnachfrage, weil sich Investoren und Konsumenten wegen der schlechten Wirtschaftsaussichten mit Ausgaben generell und speziell mit kreditfinanzierten zurückhalten und stattdessen zu sparen versuchen. Letzten Endes sinkt die Kreditnachfrage schneller, als sich das Kreditangebot verteuert, weil Einkommen und Inflationsrate fallen, so dass die langfristigen Nominalzinsen schließlich zurückgehen.

Ob und wann der Boden des Konjunkturtals erreicht ist, das heißt die Sachinvestoren wieder Mut fassen zu investieren, hängt im Wesentlichen von zwei Faktoren ab: Erstens davon, dass der Nominalzins im Vergleich zur Preissteigerungsrate schnell genug sinkt, so dass auch der Realzins zurückgeht oder sogar negativ wird, damit sich Sachinvestitionen von dieser Seite her gesehen wieder lohnen. Für diesen Mechanismus spielt die Geldpolitik mit der Steuerung der kurzfristigen Nominalzinsen die entscheidende Rolle. Handelt sie zu spät, kann sie von der nach unten gerichteten Preisentwicklung überholt werden und so ihre Wirksamkeit vollständig einbüßen - eine derzeit in Europa leider sehr reale Gefahr.

Der Staat muss handeln

Zweitens warten alle Investoren auf positive Signale am Absatzhorizont. Denn was nützen niedrige Nominalzinsen bei der Finanzierung eines Investitionsprojekts, wenn die damit hergestellten Güter niemand kauft? Dann ist selbst bei Null-Zinsen die Kreditbedienung, also die reine Tilgung, gefährdet. Das machen die Banken - zu Recht - nicht mit. In einer solchen Situation kann nur der Staat positive Signale aussenden, indem er mit einer antizyklischen Ausgabenpolitik Nachfrage schafft. Je schärfer die Krise, desto umfangreichere Signale muss die Fiskalpolitik geben, um die abwartende Haltung der Investoren, die selbstverstärkend wirkt, zu brechen. Mit anderen Worten: Das marktwirtschaftliche System ist durch das prozyklische Verhalten seiner einzelwirtschaftlichen Akteure potenziell instabil und bedarf daher einer vorausschauenden antizyklischen Steuerung durch den Staat, aber nicht automatisch einer Sozialisierung von Verlusten des Bankensektors.

Warum ist die Krise, die als Hauspreisblase in den USA begann, so stark auf alle anderen Länder übergesprungen und hat eine so gewaltige Dimension angenommen, dass dieses Mal die antizyklische Steuerung durch den Staat nicht ausreicht, sondern auch die Sozialisierung von Verlusten des Bankensektors unvermeidlich ist? Brach früher die Konjunktur in einem Land ein oder wackelten ein paar seiner Banken, dann gab es das Ausland, das in einer anderen Phase seines Konjunkturzyklus' steckte und so ein relativ stabiles Element für die strauchelnde Volkswirtschaft bot. Das hat sich dramatisch verändert. Die in den letzten zehn Jahren massiv vorangetriebene Liberalisierung des internationalen Kapitalverkehrs hat zwei Dinge ermöglicht, die es so früher nicht gab: die internationale Vermarktung undurchsichtiger Finanzprodukte und den jahrelangen Aufbau großer Schuldner- und Gläubigerpositionen zwischen ganzen Volkswirtschaften, die so genannten internationalen Ungleichgewichte.

Letzteres ist entscheidend durch die Liberalisierung der internationalen Finanzmärkte befördert worden, weil sie es ermöglichte, massiv gegen Währungen zu spekulieren und dabei die von der jeweiligen Geldpolitik verursachten internationalen Zinsdifferenzen zu nutzen. Die Spekulationen führten systematisch dazu, dass Währungen fundamental anders bewertet wurden, als es den realwirtschaftlichen Handelsbeziehungen entsprach. Auf diese Weise wurde die notwendige Korrektur der Wettbewerbspositionen zwischen Volkswirtschaften immer wieder hinausgeschoben, und so kam es, dass die einen Länder heute im Ausland hoch verschuldet sind und die anderen spiegelbildlich dazu auf großen Vermögenspositionen sitzen.

Die Handelsungleichgewichte lieferten ihrerseits die finanzielle Basis für die internationale Vermarktung undurchsichtiger Finanzprodukte. Ohne den gewaltigen US-amerikanischen Finanzierungsbedarf für das eigene Über-die-Verhältnisse-Leben und spiegelbildlich dazu das Unter-den-Verhältnissen-Leben der großen Überschussländer, einschließlich Deutschlands, wären die Ramschpapiere vom dortigen Immobilienmarkt nie so weit um den Globus gewandert, wie sie es taten, und hätten unsere Banken nicht so fundamental erschüttert.

Aber es gibt noch einen anderen Grund für die Dimension der Krise. Der Haken bei Krediten, hinter denen noch keine Güter stehen, ist die Art der Verwendung dieses Geldes. Werden sie für Sachinvestitionen genutzt, kommt bei vernünftiger Prüfung des Einzelfalls durch die Kreditgeber im Schnitt etwas Produktivitätssteigerndes heraus, aus dem sich Zinsen und Tilgung bezahlen lassen. Dem Mehr an Geld steht dann ein Mehr an Gütern und damit automatisch an Einkommen gegenüber.

Was dürfen Banken?

Werden die Kredite jedoch für Finanzspekulationen - sei es im Währungsbereich, sei es auf Rohstoff- oder Immobilienmärkten, sei es in Hedgefonds oder im spekulativen Eigengeschäft der Banken - verwendet, steigt die Produktivität überhaupt nicht. Das ist nämlich reines Kasinospiel, bei dem der Gewinn des erfolgreichen Spielers automatisch den Verlust anderer bedeutet. Oft sogar anderer, die gar keine Spieler sind, sondern etwa die um ihren Arbeitsplatz gebrachten Arbeitnehmer eines Unternehmens, das von Finanzinvestoren mit hoher Verschuldung in Grund und Boden gefahren wird.

Wenn es einen großen Schock gibt, wird aus dem kasinomäßigen Nullsummen- sogar ein Negativsummenspiel, bei dem alle verlieren. Und um genau diesen Punkt muss es jetzt bei der Diskussion, wie der Bankensektor zu retten ist, gehen. Wenn wir das für unsere Marktwirtschaft unabdingbare öffentliche Gut eines funktionierenden Kreditwesens mit Steuergeldern am Leben erhalten, müssen wir gleichzeitig das Gift, das dieses öffentliche Gut zerstört, beseitigen. Wie wir das im Einzelnen machen - mit dem direkten Kauf von Bankanteilen durch den Staat, mit einer kompletten Verstaatlichung des Sektors, mit einer großen oder mehreren kleinen Bad Banks - ist eine zweitrangige Frage. Entscheidend ist, dass die Frage, was Banken tun dürfen und was nicht, beantwortet wird, die institutionellen Rahmenbedingungen neu gesetzt werden, bevor die Antwort auf die Frage 'Bad Bank - ja oder nein?' gegeben wird. Staatliche Banken kann man auf viele Weisen daran hindern, Unfug zu machen. Es geht aber nicht an, dass die privaten Banken vom Staat entlastet werden und sofort wieder auf die alten Spielwiesen zurückkehren.

Sollte die Lösung gewählt werden, die Banken durch den Steuerzahler zu entlasten, ist also zunächst zu klären, welche Art von Geschäften für Banken zulässig ist. Und da das Bankengeschäft international abläuft, muss diese Klärung international koordiniert geschehen. Wir dürfen uns aber nicht hinter der Internationalitätsforderung verstecken, um die Dinge aktuell einfach weiter laufen zu lassen. Dafür ist die Eigendynamik der Krise inzwischen viel zu groß. Wenn keine rasche internationale Einigung auf konkrete und strenge Regeln für private Banken möglich ist, muss der Sektor eben verstaatlicht werden, bis man auf internationaler Ebene den institutionellen Rahmen fertig gezimmert hat.

Das Argument, der Staat sei nicht der bessere Banker, wie man an den Landesbanken studieren könne, ist Unsinn. Wer die schlechtesten Banker sind, weiß man jetzt. Die zu unterbieten, wird auch einem durchschnittlich begabten staatlichen Beamten schwer fallen. Zentral ist aber, dass der Staat jetzt Regeln aufstellt, die alle Banker, ob gut oder schlecht, dazu zwingt, sich wie Banker zu verhalten und nicht wie Zocker.

* Heiner Flassbeck ist Chefökonom bei der UNO-Organisation für Handel und Entwicklung (UNCTAD), Friederike Spiecker ist Ökonomin und Publizistin