Ausgabe 01/2009-02
Such dir einen reichen Mann
Such dir einen reichen Mann
Große Ansprüche werden neuerdings an die Musik gestellt. Wer musiziert, sei sozialer, kommunikativer und gewaltfrei, heißt es. Versäumnisse der Bildungsarbeit sollen durch musische Erziehung behoben werden. Dazu braucht man dringend Musikschullehrer/innen. Bezahlen will sie aber keiner
Von Jenny Mansch
"Wenn du Musiklehrerin werden willst", sagt Anja Bossen ihren eigenen Schülerinnen, "dann such dir einen reichen Mann. Ohne kannst du diesen Job nicht machen." Der Mann der Querflötenlehrerin ist zwar überhaupt nicht reich. Als Cellist im Staatsorchester Land Brandenburg genügt es aber, um seiner Frau das Pendeln zwischen den Musikschulen Frankfurt/Oder und Berlin zu ersparen. "So reichen mir drei Unterrichtstage in Frankfurt. Um es allein zu schaffen, müsste ich fünf Tage unterrichten." Und wieder pendeln.
Durchschnittlich verdient ein Musikpädagoge mit Hochschulstudium als Honorarkraft im Jahr 13330 Euro. Das lässt sich erst so klar beziffern, seit Anja Bossen und ihr reizender Mann selbst eine Umfrage entwickelt und unter Musiklehrern gemacht haben. Anja ist Mitglied im Bundesfachgruppenvorstand Musik bei ver.di und sie wollte belegbare Zahlen.
Dass Musikmachen einen unschätzbaren Wert für die individuelle Entwicklung hat, der in allen Lebensbereichen positiv zum Tragen kommt, ist nicht neu. Der Geigenvirtuose Yehudi Menuhin regte einst die Arbeitszeitverkürzung an, damit jeder sein persönliches Glück im Erlernen eines Instruments finden könne. Otto Schily erfreute als Innenminister mit dem Spruch: "Wer Musikschulen schließt, gefährdet die innere Sicherheit." "Wir sind dazu da, jungen Menschen zu zeigen, worin die Seele einer bestimmten Komposition liegt. Alles, was jungen Musikern hilft, ihre Gefühle auszudrücken, ist gut", schwelgte der Dirigent Sir Simon Rattle.
Gefolgt sind den schönen Worten jedoch keineswegs nur gute Taten. Das Schwinden der öffentlichen Fördermittel ist seit Jahren Trend, besonders schlimm ist es in strukturschwachen Regionen. Anstatt die Arbeitsbedingungen und die Position der Musikschullehrer/innen zu stärken, hat man sie zu Honorarkräften heruntergewirtschaftet.
Uwe Radler ist 43 und hat an drei Hochschulen Musik studiert. Als Diplom-Instrumentalpädagoge unterrichtet er Saxophon an einer Musikschule in Brandenburg. Der studierte Musiker wird heute nach Minuten bezahlt. Eine Unterrichtsstunde dauert von 30 über 45 bis 60 Minuten, Radler und die meisten Schüler/innen jedoch erhalten generell nur noch die 30-Minuten-Option. Dafür erhält die Lehrkraft 10,70 Euro. Wenn ein Schüler absagt, wenn ein Brücken- oder Feiertag ansteht, geht dem Lehrer auch dieses Geld flöten. Die Schulferien werden nicht durchgezahlt, da steht Berlin noch besser da. Hier werden die Honorare wenigstens auf zwölf Monate verteilt.
Uwe Radler fand die Umfrage gut, die Anja Bossen gestartet hat. Obwohl sie erst in seinem Fach lag, als die Einsendefrist bereits abgelaufen war. Er hat trotzdem teilgenommen, den Fragebogen hat er sich von einer Kollegin besorgt. "Man hat ein Diplom und wird im Minutentakt abgerechnet", sagt Uwe Radler. Ganz zu schweigen von den vielen unbezahlten "Zusammenhangstätigkeiten", die mit dem Job einhergehen: Konferenzen, Vorbereitung von Vorspielabenden, Kammermusik-Workshops und die Konferenzen zur Qualitätserhebung.
"Wenn die Honorarkräfte bei diesen konzeptuellen Arbeitsprozessen wegfallen", so Bossen, "kann der Organismus Musikschule nicht mehr so funktionieren, wie er soll." Die Arbeit und gemeinsame Qualitätsentwicklung beruht auf Teamarbeit, die nicht mehr greift, wenn nur noch die wenigen Festangestellten teilnehmen. Vor allem in den neuen Bundesländern zählen diese zu einer aussterbenden Gattung. Wie die Umfrage ergab, sind in den neuen Bundesländern über 60 Prozent (in den alten: 55,5 Prozent), in Berlin fast 78 Prozent der Musikschullehrkräfte als Honorarkräfte ohne soziale Absicherung beschäftigt. Der Verband deutscher Musikschulen empfiehlt zum Gelingen allen Tuns das umgekehrte Verhältnis. Ideal kann der Unterricht gestaltet werden, wenn mindestens 70 Prozent der Lehrkräfte fest angestellt und Vollzeit in den Betrieb integriert sind.
Anja Bossen will mit den Ergebnissen ihrer Umfrage so bald wie möglich an die Politik herantreten. Zum ersten Mal hat sie klare Zahlen, um zu belegen, was sie so stört: Die Konkurrenz der vielen teuren Projekte, die "jetzt aktionistisch losgetreten werden, deren Nachhaltigkeit aber nicht belegt ist". Zum Beispiel die neue Kooperation mit den allgemeinbildenden Schulen. Durch den Ganztagsunterricht haben die Schüler/innen frühestens ab 17 Uhr Zeit für den Instrumentalunterricht und gehen so den Musikschulen verloren. Um dies einzudämmen, setzt man zurzeit 30 Prozent der Musikschullehrer/innen auch dort ein. Oft dürfen sie nur Gruppen unterrichten und müssen mit den festangestellten Lehrern um Übungsräume ringen. Die Weiterbildung für diesen Einsatz muss selbst finanziert werden.
Auch das Projekt "Jeki - jedem Kind ein Instrument" sieht Anja Bossen skeptisch. Immerhin, sagt sie, aber es reiche nicht, jedem Kind in der Grundschule ein Instrument umzuschnallen und es ein paar Jahre im wenig effizienten Gruppenunterricht machen zu lassen.
Abgerechnet im Minutentakt. Und das ist kein Walzer
Anja Bossens Ziel ist klar: Sie will eine Stärkung der Musikschullehrkräfte erreichen, eine Verbesserung ihrer beruflichen Position und Bezahlung. "Wenn schon von großer Bildungsoffensive die Rede ist, dann muss man an die Inhalte ran. Und wenn allen die Musik so wichtig ist, wie sie neuerdings behaupten, dann sollten sie die richtigen Schritte tun".
Dann bräuchte eine Musiklehrerin auch nicht unbedingt einen Mann.
Weitere Infos, Umfrage und Ergebnisse unter: www.musik.verdi.de