Interview mit Adolf Bauer, Sozialverband Deutschland

Rund 15 Millionen Menschen in Deutschland leben in Armut, und sie ist inzwischen sichtbar: in Suppenküchen, auf der Straße, in Kindertagesstätten und in Schulen, aber auch in Seniorenzentren und Rentner-Haushalten. Der Sozialverband Deutschland e.V. (SoVD) ist mit seinen 525000 Mitgliedern die sozialpolitische Interessenvertretung der Rentner/innen, der Patienten und gesetzlich Krankenversicherten, der pflegebedürftigen und behinderten Menschen. Gemeinsam mit ver.di engagiert sich der SoVD im "Bündnis Soziales Deutschland - Stimmen für den Mindestlohn". ver.di PUBLIK sprach mit Präsident Adolf Bauer.

ver.di PUBLIK | Der SoVD tritt für die Stärkung der sozialen Sicherungssysteme und für soziale Gerechtigkeit ein. Hat unser derzeitiges System noch eine Zukunft?

Adolf Bauer | Auf jeden Fall. Es zeigt sich doch gerade in der Wirtschaftskrise, wie wichtig die sozialen Sicherungssysteme als Auffangnetz für die Menschen sind. Die gesetzliche Rentenversicherung erweist sich als stabil und verlässlich. Die kapitalgedeckte Altersvorsorge ist aber den Schwankungen der Finanzmärkte unterworfen.

Wir müssen dafür sorgen, dass die Rentenversicherung und die gesetzliche Kranken- und Pflegeversicherung zukunftsgerecht gestaltet werden. Die so genannten Reformgesetze haben den Rentnern mehrere Renten-Nullrunden beschert und bedeuten für künftige Rentner eine drastische Absenkung der Rentenhöhe. Statt der Rente mit 67 muss die gesetzliche Rentenversicherung zu einer Erwerbstätigenversicherung weiterentwickelt werden. Außerdem muss die Altersarmut bekämpft werden. Der SoVD fordert auch eine Mindestsicherung für langjährig Beschäftigte mit geringem Einkommen. Wer sein Leben lang hart gearbeitet hat, darf im Alter nicht zum Sozialamt geschickt werden.

ver.di PUBLIK | Der Bund hat in kürzester Zeit Milliarden-Pakete zur Bankenrettung aufgelegt.

Bauer | Dann sollte es auch möglich sein, die Armut entschieden zu bekämpfen. Es ist ein erster Schritt, dass mit dem Konjunkturpaket II die Hartz-IV-Regelsätze für sechs- bis 13-jährige Kinder um 35 Euro erhöht werden, aber das reicht nicht aus. Der SoVD hat die Bundesregierung aufgefordert, eine systematische und bedarfsgerechte Berechnung des Hartz-IV-Regelsatzes für Kinder und Jugendliche vorzulegen.

ver.di PUBLIK | Thema Gesundheit - fürchten Sie um die gesetzliche Krankenversicherung?

Bauer | Nein. Aber wir befürchten, dass in der zweiten Jahreshälfte viele Krankenkassen einen Zusatzbeitrag erheben werden. Damit werden die Kosten einseitig auf die Arbeitnehmer abgewälzt. Der Gesundheitsfonds löst die Probleme der gesetzlichen Krankenversicherung in keiner Weise.

ver.di PUBLIK | 5,5 Millionen arbeiten für Niedriglöhne, das ist jeder fünfte Arbeitnehmer in Deutschland.

Bauer | Das zeigt, dass wir dringend einen gesetzlichen Mindestlohn brauchen. Arbeit muss ordentlich bezahlt werden. Und wir müssen verhindern, dass aus Hungerlöhnen später Hungerrenten werden. Deshalb beteiligt sich der SoVD an der ver.di-Initiative "Bündnis Soziales Deutschland - Stimmen für den Mindestlohn". Im Wahljahr wollen wir gemeinsam Druck für faire Löhne machen.

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