Erzieherin Martina Meyer über die Situation im städtischen Sozial- und Erziehungsdienst

Martina Meyer ist bei der Landeshauptstadt München als Erzieherin beschäftigt. Seit 2006 ist sie als Personalrätin freigestellt. Das Bundestarifsekretariat hat sie in das Beratungsgremium für die Eingruppierungsverhandlungen für den Sozial- und Erziehungsdienst geholt.

ver.di PUBLIK | Unter den Beschäftigten im Sozial- und Erziehungsdienst rumort es gewaltig. Wo siehst du die Gründe für die Unzufriedenheit?

MARTINA MEYER | Die Anforderungen und die Arbeitsbelastungen in diesem Bereich sind in den letzten Jahren enorm gestiegen, beziehungsweise haben sich stark verändert. Die derzeitige Bezahlung steht in keinem Verhältnis zu den Arbeitsanforderungen und dem Auftrag. Die Ausbildung zur Erzieherin dauert in Bayern derzeit fünf Jahre. Hochqualifiziertes Personal, das den Auftrag der Bildung und Betreuung umsetzt, muss auch entsprechend bezahlt werden. Die Eingruppierungen heute sind nicht mehr zeitgemäß und gehören aufgebessert.

ver.di PUBLIK | Geht es dabei auch um die Grundfrage des Werts der sozialen Arbeit in unserer Gesellschaft?

MEYER | Natürlich geht es um den Wert der sozialen Arbeit in unserer Gesellschaft. Eine Stunde in der Autowerkstatt kostet in Deutschland mehr als eine Stunde ambulanter Pflegedienst. So viel zum Wert in unserer Gesellschaft. Es wird als selbstverständlich angesehen, dass soziale Arbeit wenig kostet. Davon müssen wir weg.

ver.di PUBLIK | Erzieherinnen und Sozialpädagogen haben sich jahrzehntelang kaum für ihre eigenen Interessen eingesetzt. Ist es jetzt vorbei mit dem Helfersyndrom?

MEYER | Das haben wir ja im letzten Jahr bei den Tarifverhandlungen gemerkt. Ich erinnere an eine Schlagzeile aus dieser Zeit: "Wir sind sozial, aber nicht blöd." Das trifft es eigentlich. Die Menschen im Sozial- und Erziehungsdienst haben ein ausgeprägtes soziales Gewissen. An dieses in Sachen Eingruppierung zu appellieren, ist derzeit nicht angebracht. Soziale Arbeit erfordert ein hohes Maß an Verantwortung. Ich war immer der Auffassung, dass man für andere nur Verantwortung übernehmen kann, wenn man auch für sich selber die Verantwortung übernimmt. Und das haben wir im Jahr 2008, gerade in München, ja wohl deutlich signalisiert.

ver.di PUBLIK | Du bist Mitglied im Beratungsgremium für die Eingruppierungsverhandlungen. Wie groß ist dein Einfluss auf das, was am Ende herauskommt?

MEYER | Man muss schon realistisch sein: In dem Begriff Beratung steckt nun mal das Wörtchen beraten. Das bedeutet leider nicht: entscheiden. Der hohe Organisationsgrad im Sozial- und Erziehungsdienst in München trägt sicher dazu bei, dass man sich zukünftig weitaus mehr an uns orientieren muss. Ideal wäre: München wird der Maßstab. Für mich als Mitglied in der Beratungskommission ist es übrigens sehr entspannend zu wissen, dass es hier, im Vergleich zu anderen Kommunen, eine hohe Durchsetzungskraft gibt. Wir sind stark, dank der positiven und rasanten Mitgliederentwicklung. Das Jahr 2008 mit allen Aktionen und Streiktagen wirkt immer noch.

INTERVIEW: HEINRICH BIRNER