PETRA WELZEL ist Redakteurin bei ver.di PUBLIK

Das Gedächtnis der Verbraucher/innen ist kurz. Mitte März stellte das Kölner Marktforschungsinstitut Grass Roots Performance eine repräsentative Studie vor, in der die Bundesbürger/innen nach ihren Einkaufsgewohnheiten und dem Image der Discounter wie Aldi, Lidl, Netto und Co. befragt worden waren. Nahezu 50 Prozent der Befragten gaben an, wegen der miesen Arbeitsbedingungen, Schnüffeleien und Schikanen den Einkauf bei bestimmten Lebensmitteldiscountern möglichst zu vermeiden. Allein die Bilanz 2008 von Lidl, des Discounters, der seit dem vergangenen Jahr durch Überwachungen seiner Mitarbeiter/innen bis auf das Betriebsklo und Ausspionieren ihrer Krankheitsgeschichten regelmäßig Schlagzeilen macht, lässt vermuten, dass sich die Einkäufe bei den Spitzenreitern auf der Negativliste offenbar leider nicht vermeiden lassen. Lidl konnte seinen Umsatz nach einem kurzen Einbruch insgesamt um 11,2 Prozent steigern. Überhaupt sind die Umsätze bei den Discountern wie schon seit Jahren erneut stärker als bei allen Konkurrenten gestiegen.

Hauptsache billig ist im deutschen Einzelhandel das schlagende Verkaufsargument. Selbst die Gut- und Besserverdienenden, die sich eine Limousine für die Straße und Diamanten am Körper leisten können, gehen für Lebensmittel auf Schnäppchenjagd. Was interessiert da schon eine Lidl-Beschäftigte, über die die Geschäftsführung bis ins Detail festhält, wie sie ihre Unfruchtbarkeit zu überwinden versucht? Oder eine Schlecker-Bezirksleiterin, die zur Überwachung ihrer Untergebenen verpflichtet wurde, sich wie ein Spion den ganzen Tag hinter einer Lochwand auf engstem Raum zu verschanzen? Dass sie dafür schon abends zuvor aufhörte zu trinken, um am folgenden Tag nicht auf die Toilette zu müssen? Wenn es ums Geld geht, geben nicht nur die Unternehmer bei Arbeitsbeginn ihre Moral an der Pforte ab, sondern auch die Verbraucher/innen ihr Gewissen am Supermarkteingang.

Wenn dann mal wieder Näherinnen aus Bangladesch auf Einladung durch Deutschland reisen, um über ihre hundsmiserablen Arbeitsbedingungen zu berichten, könnte die Empörung im Lande nicht größer sein. Oder wenn zu einer Fußball Europa- oder Weltmeisterschaft Kinder durch die Medien gereicht werden, die 14 Stunden lang sieben Tage die Woche Fußbälle nähen, wird kurzfristig wieder das Hohelied auf fairen Handel und faire Produktion angestimmt. Dann werden ein paar dieser so genannten Schwitzbuden aufgelöst. Aber leider irgendwo anders in Bangladesch, China, Indien, Pakistan oder sonst wo neu eröffnet. Denn nur so können die Auftraggeber wie Aldi, Tchibo, Lidl, und wie sie alle heißen, ihre Preise niedrig halten.

Aber man muss eben gar nicht bis in die Produktionsstätten blicken. Es vergeht kaum noch ein Monat, in dem nicht wieder ein Skandal im Handel aufgedeckt wird. Die meist weiblichen Beschäftigten werden mit hoch flexiblen Stundenverträgen geknebelt, zu Überstunden gezwungen und mit Stundenlöhnen bis zu unter fünf Euro ausgebeutet. Auch so werden Dumpingpreise gemacht. Seit Aldi, Lidl und Co. auch noch mit eigenen Bio-Ecken um eine Klientel buhlt, die gemeinhin als gewissenhaft gilt, scheint auch das Kaufverhalten der Verbraucher/innen noch unerklärlicher: Da mögen die Waren fair produziert und gehandelt sein, aber am Ende werden sie von Beschäftigten ausgepackt, verkauft und abkassiert, die zu Bedingungen arbeiten, die oft genug menschenunwürdig sind.

Gedanken scheint sich auch niemand darüber zu machen, warum ein T-Shirt für 1,99 Euro zu haben ist, an dem das Gros der Händler verdient? Oder eine Hose für 4,99? Warum man abgepackte Wurstwaren für den sprichwörtlichen Appel und ein Ei kaufen kann, haben die letzten Fleischskandale deutlich gezeigt. Frische Ware wird erst dann feilgeboten, wenn die alte raus ist. Und bei der wird so lange das Haltbarkeitsdatum gewechselt, bis sie verkauft ist. Doch auch Gammelfleisch führt immer nur für kurze Zeit zu einem Verzicht beim Verbraucher. Ist das Thema aus den Augen, aus dem Sinn, steht er wieder an der Kühltruhe beim Discounter.

Den Beschäftigten ist letztendlich am allerwenigsten damit geholfen, ihre Geschäfte zu boykottieren. Der Unternehmer schließt sie einfach, wenn sie nicht mehr profitabel sind. Und es muss auch gute Lebensmittel und andere Produkte geben, die sich Menschen mit wenig Geld leisten können. Aber wir Verbraucher können Qualität einfordern, den Ramsch ignorieren. Wir können auch bessere Bedingungen für die Beschäftigten im Handel fordern. Edeka mag jetzt mit dem Slogan "Wir lieben Lebensmittel" für mehr Qualität als bei den Discountern werben. Dennoch privatisiert der Konzern immer mehr Filialen, in denen dann die Mitarbeiter gar nicht mehr geliebt werden. Rewe wirbt dagegen mit dem Motto: "Jeden Tag ein bisschen besser." Bessern wir uns beim Einkauf - jeden Tag ein bisschen mehr.

Wenn es ums Geld geht, geben auch die Verbraucher/innen ihr Gewissen am Supermarkteingang ab