Geiz ist geil war gestern – Fair ist mehr ist heute

ver.di startet in die Tarifrunde für den Einzel- und Großhandel, in einer Branche, um die man sich sorgen muss

VON PETRA WELZEL

Einer der jüngsten Skandale des Handels hat einen Namen: Doina Funar. Die Verkaufsstellenverwalterin der Schlecker-Filiale am Stuttgarter Hauptbahnhof schlägt und würgt ihre Angestellten, wirft mit leeren Getränkekisten nach ihnen, nötigt sie zu Falschaussagen. Das ist aktenkundig. Der Betriebsrat hatte vor dem Arbeitsgericht Stuttgart einen Prozess angestrengt und unlängst Recht bekommen. Das Gericht urteilte, Schlecker müsse seine Verkaufsstellenleiterin aus dem Verkehr ziehen. Nur: Geschehen ist das bis heute nicht. Willkommen in der schönen neuen Handelswelt.

Im Einzel- und Großhandel hat die Tarifrunde 2009 begonnen. Und ver.di fordert deutlich höhere Löhne für die Beschäftigten. Zu 75 Prozent sind das Frauen, die zunehmend in geringfügige Beschäftigungen gedrängt werden. Denn die Skandale haben nicht nur Namen, sondern vor allem System. 8000 Stellen wurden 2008 allein im Einzelhandel abgebaut, gleichzeitig nahmen die Vollzeitstellen um 12000 ab. Gestiegen ist dagegen die Zahl der geringfügig Beschäftigten auf eine knappe Million. Für die heißt das: Sie müssen auf Abruf bereit stehen. Wer aufmuckt oder den Betriebsrat einschalten will, dem werden die Stunden einfach gekürzt. Wer dann immer noch nicht spurt, muss im schlimmsten Fall mit der harten Tour wie bei Schlecker in Stuttgart rechnen.

Wenn das nicht Ausbeutung ist, was dann? Der Textildiscounter Kik wurde vom Arbeitsgericht Hamm wegen sittenwidriger Löhne um die fünf Euro verurteilt. Schlagzeilen machte im April ein Norma-Beschäftigter in Berlin. Er hatte einen 19-Stunden-Vertrag, für den er bezahlt wurde, arbeitete aber real 70 Stunden in der Woche, 51 Stunden unbezahlt. Laut Ulrich Dalibor, in der ver.di-Bundesverwaltung zuständig für den Einzelhandel, erhält die Gewerkschaft regelmäßig anonyme Hilferufe von Norma-Beschäftigten. "Machen können wir da nichts, wenn sich die Menschen nicht zu erkennen geben", sagt der ver.di-Mann.

Ulrich Dalibor ist aber davon überzeugt, dass es die sich häufenden Skandale in der Form nicht geben würde, wenn es überall Betriebsräte gäbe. Aber er weiß auch, wie schwer es ist, einen Betriebsrat in betriebsratsfeindlichen Unternehmen zu gründen. Nur jeder zehnte Betrieb in Deutschland hat überhaupt noch einen. "Man muss Mut haben, den Startschuss geben und über den eigenen Tellerrand blicken", sagt Dalibor. Aber stattdessen sei die Angst, den Job zu verlieren, riesengroß. Ist er auch noch so mies. Und dann gibt es noch den Branchenriesen Aldi, der sich ganz einfach genehme Betriebsräte kauft. Jahrelang hat Aldi Nord heimlich die arbeitgeberfreundliche "Arbeitsgemeinschaft unabhängiger Betriebsangehöriger" (AUB) unterstützt. Nach dem Betriebsverfassungsgesetz ist das kriminell. ver.di erstattete bereits vor einem Jahr Strafanzeige.

Nur in Deutschland wird ein solcher Preiskrieg geführt

System hat auch der Fall der Edeka-Betriebsrätin Gaby Gramckow aus Witten. Seit über zwei Jahren führt sie ein Scharmützel mit ihrem Arbeitgeber vor dem Bochumer Arbeitsgericht. Wegen angeblicher schlechter Arbeitsleistung, Kompetenzüberschreitung und privater Telefongespräche auf der Damentoilette wurde sie viermal abgemahnt. Viermal musste ihr Chef die Abmahnung zurücknehmen. Derzeitiger Höhepunkt: Ihr soll gekündigt werden, nachdem im Betriebsratsschrank zwei Uhren aus dem Tchibo-Sortiment gefunden wurden. Als vor einigen Wochen ein Tatort im Fernsehen lief, der in der Welt der Discounter spielte, sah Gaby Gramckow ihre eigene Realität: "Der Film ist wirklich aus dem Leben gegriffen", sagt sie.

"Die Wirklichkeit ist ein Teufelskreis", sagt Ulrich Dalibor. Die Waren werden immer billiger, die Verkaufsflächen immer größer, die Öffnungszeiten immer länger, das Personal immer weniger. In keinem anderen Land wird ein derartiger Preiskrieg geführt wie in Deutschland, um die Kosten niedrig zu halten. Nur vier bis fünf Prozent des Umsatzes gehen bei den Discountern für das Personal drauf, bei den Warenhäusern sind es 20 Prozent. Kein Wunder, dass die Billigläden mittlerweile Anteile von rund 45 Prozent am Gesamtumsatz im Handel haben, die einzige Teilbranche mit Zuwächsen, während Kaufhäuser wie Karstadt schon nach Staatsbürgschaften rufen. "Was Lidls, Aldis, Schleckers und Co.'s Stärke ist, ist Karstadts, Herties und Kaufhofs Schwäche", sagt Ulrich Dalibor. Beim Krieg um den billigsten Preis können sie nicht mithalten.

Übrigens: Die ver.di-Kampagne "Fair heißt mehr" begleitet die Tarifrunde. "Geiz ist geil" war gestern und hat gezeigt, wohin Geiz führt: In eine Branche, um die man sich sorgen muss. Allen voran die Beschäftigten, aber auch wir Kunden - wir sind Teil des Systems.

www.fair-heisst-mehr.de

www.mitgliedernetz.verdi.de

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