VON RENATE BASTIAN

Sitzen in Hessens Verwaltungen, in den Kommunen und der Staatskanzlei lauter Gesetzesbrecher an den Schalthebeln? Schlägt man die neue Broschüre Tipps aus der Praxis für die Praxis zum Hessischen Gleichberechtigungsgesetz von ver.di Hessen auf, kommt leiser Verdacht auf. Nach Einschätzung von Frauenbeauftragten, Personalrätinnen und Gewerkschafterinnen wird gerade gegen dieses Gesetz mit am häufigsten verstoßen. Susanne Zinke, Co-Autorin der Broschüre, berichtet aus ihrer Erfahrung in der Stadtverwaltung Kassel. Das Gleichberechtigungsgesetz an und für sich begrüßt sie natürlich. Da ist in den schönsten Tönen von Chancengleichheit zwischen Frauen und Männern die Rede und vom Ziel, Beruf und Familie in Einklang zu bringen, da werden Frauenförderpläne vorgeschrieben, Ausschreibungs- und Ausbildungskriterien formuliert. Und dennoch lässt die Wirklichkeit in den hessischen Einrichtungen viel zu wünschen übrig: "Noch sind es Zwergenschritte, mit denen wir uns vorwärts bewegen, manchmal fallen wir sogar zurück."

Unabhängige Gerichte

Eine wichtige Ursache dafür, dass Gesetz und Praxis in den Dienststellen so weit auseinander klaffen, sind ihrer Meinung nach die fehlenden Sanktionsmöglichkeiten bei Verstößen. Sie nennt ein Beispiel: Ein Mann und eine Frau bewerben sich für eine gut dotierte Führungsposition. Die Frau ist deutlich besser qualifiziert, der Mann wird genommen. Nun legt die Frauenbeauftragte Widerspruch gegen eine solche Entscheidung ein, und zwar bei der Dienststelle. Die lehnt ab. Danach kann sie sich an den Herrn Regierungspräsidenten wenden - oder es auch gleich sein lassen. Ganz anders dagegen sähe die Sache aus, wenn die Frauenbeauftragte ein unabhängiges Gericht anrufen könnte. Susanne Zinke ist sich sicher, dass dann bereits von Vornherein viel ernsthafter mit dem Gesetz umgegangen würde. "Warum fahren wir nicht bei Rot über die Ampel? Wir wollen keinen Strafzettel riskieren." Schon die Möglichkeit einer Sanktion würde Wirkung erzielen.

In der Grauzone

Nun darf man aus dem genannten Beispiel nicht gleich schließen, dass Frauen in Hessens Verwaltungen direkt und offen diskriminiert werden. Es ist gerade der schwer greifbare mittelbare Bereich, die Grauzone, die den Frauenbeauftragten Kopfzerbrechen bereitet. Es dominiert eine Kultur, die sich gegen die Frauen richtet, so Zinke. Noch immer sind Erziehungszeiten hauptsächlich Frauenzeiten, trotz der viel gelobten Neuen Väter. Niemand fragt sich bei der Einstellung eines Mannes, wann er wohl "zum ersten Mal ausfällt". Gleiches gilt für die familiäre Pflege - eine weibliche Domäne. Frauen haben neben der Berufstätigkeit noch viele Baustellen. Hinzu kommt der Biorhythmus in den Büros: Morgens wird gepowert, am Nachmittag ist schon eher mal die Möglichkeit zum informellen Gedankenaustausch. Dann ist die - meist weibliche - Teilzeitkraft ausgeschlossen.

Wenn gleichermaßen Männer und Frauen wegen familiärer Pflichten ausfallen, wenn beide gleich viel verdienen, Teilzeitarbeit nicht mehr Frauen vorbehalten ist, wenn nicht mehr unterschieden wird zwischen schlecht bezahlten Frauenberufen und gut bezahlten Männerberufen - dann hätte eine neue Kultur auch eine Chance, folgert Zinke. Unterrepräsentiert sind heute Frauen nach wie vor in Führungspositionen und dort, wo Geld verdient wird. Zur Qualifikation einer Frauenbeauftragten gehört somit ein gewisser Röntgenblick. Mittelbare Diskriminierung ist an der Oberfläche schwer zu erkennen. Zudem hebelt der Stellenabbau in Hessen das Gleichberechtigungsgesetz aus. Wie man trotz aller Widrigkeiten auch mit kleinen Schritten weiter kommt, wie man Förderpläne und Frauenversammlungen nutzt, was es mit der Berichtspflicht auf sich hat - all das ist in der nützlichen Broschüre nachzulesen.

Zu bestellen bei der hessischen Frauensekretärin, ilka.briest@verdi.de:

Frauen verdienen mehr! Tipps aus der Praxis für die Praxis zum Hessischen Gleichberechtigungsgesetz (HGIG) und dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG); für Mitglieder kostenlos, für Nicht-Mitglieder 7,50 €.