Ins andere Leben

Freiheitstheater Jenin | Ob ihre Schauspielschule noch steht oder über Nacht niedergebrannt wurde, sehen die jungen Student/innen immer erst, wenn sie zum nächsten Unterricht erscheinen. Mehr als 5 000 Kinder und Jugendliche leben im größten der palästinensischen Flüchtlingslager Jenin, es liegt im Norden des von Israel besetzten Westjordanlands. 2002 wurde es von israelischen Soldaten völlig zerstört, mittlerweile ist das Freiheitstheater jedoch mehr ins Visier der palästinensischen Gegner geraten. Theaterspielen gilt ihnen als Prostitution und Schande. Um der Gewalt etwas entgegenzusetzen, hatte Arna Mer-Khamis, die jüdische Mutter des jetzigen Leiters und Regisseurs Juliano Mer-Khamis, überhaupt ein Kindertheater gegründet. Sie wollte traumatisierten palästinensischen Kindern einen Raum bieten, in dem sie Phantasien entwickeln und sich andere Realitäten überhaupt einmal vorstellen können. Und ein Minimum an Bildung. Dafür hat sie 1993 den alternativen Nobelpreis in Stockholm bekommen, das Geld steckte sie in den Bau des ersten Freedom Theatre Jenin. Inzwischen gibt es auch Zirkus, Musik und Tanz.Noch bis zum 1. November sind 14 junge Student/innen der Theaterschule erstmals auf Tour durch Deutschland und Österreich. Sie zeigen „Fragments of Palestine”. Ihre Performance basiert auf Theater, Tanz und Musik, auf Sprache wird weitgehend verzichtet. Es sind kurze intensive Episoden, die von den Schauspielstudent/innen selbst entwickelt wurden und ihren unglaublichen Alltag im Lager auf unterschiedliche Weise reflektieren. Berührend, kraftvoll und mitten aus einem anderen Leben gegriffen. Jenny ManschTERMINE: 17.10. BRAUNSCHWEIG, 26.10. TÜBINGEN, 28.10. LEIPZIG 31.10./1.11. BERLIN


Das weiße Band | Der Dorfarzt stürzt vom Pferd, eine Scheune brennt nieder, ein Junge wird gequält – mysteriöse Zwischenfälle in einem protestantischen Dorf. Wer sind die Täter? Man muss kein Schulpsychologe sein, um die Zusammenhänge zu erahnen. Keimten doch in wilhelminischen Zeiten, in denen ein ständiges Klima der Angst herrschte, Väter ihre Kinder züchtigten und Frauen unterdrückten, unter der Decke des Schweigens Hass und Aggressionen. Später wurden aus den so gezüchteten Untertanen Nazi-Schergen. Mit seiner asketischen Inszenierung ganz in Schwarz-Weiß und vor allem mit seinem bigotten Pfarrer als Dreh- und Angelpunkt erinnert Hanekes düsterer Film stark an die frühen Psychodramen Ingmar Bergmanns. Das verstörende Sittengemälde regt zum Denken an: Die autoritäre Erziehung ist zwar Geschichte, aber vor ihren frustrierten, gewaltbereiten Kindern und Jugendlichen ist auch die heutige Gesellschaft nicht sicher. klD/A 2009. R: M. HANEKE. D: B. KLAUßNER, U. TUKUR J. BIERBICHLER, S. LOTHAR u. a., 144 MIN., KINOSTART: 15.10.2009


Weltstadt | Die Anatomie eines Verbrechens erforscht Weltstadt: Im Sommer 2004 zündeten zwei Jugendliche in Beeskow einen Obdachlosen an. Das Opfer überlebte mit schweren Verletzungen, die Täter wurden zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. Regisseur Christian Klandt diagnostizierte, zurückgekehrt in sein brandenburgisches Heimatstädtchen, eine beunruhigende Ignoranz. Mit seinem quasi-dokumentarischen Spielfilm baut er nun vor allem ein Denkmal gegen das Vergessen. Und versucht zu verstehen: Alkohol und Drogen, übergriffige Mütter, verständnislose Väter und die Perspektivlosigkeit in der ostdeutschen Provinz werden aufgeführt – wenn schon nicht als Motive, so doch zumindest als hilflose Versuche, das Unerklärliche zu erklären. Vor allem aber fängt Klandt beeindruckend jene Tristesse ein, die sich nur notdürftig versteckt hinter mit Aufbau-Ost-Geldern renovierten Kleinstadtfassaden in rosa und hellblau. toD 2008, R: CHRISTIAN KLANDT, D: FLORIAN BARTHOLOMÄI, GERDY ZINT, KAROLINE SCHUCH, 104 MIN., KINOSTART: 5.11.09


The Dust Of Time | Altmeister Theo Angelopoulos komponiert aus seinen Themen Abschied, Trennung und Heimatlosigkeit eine surreale Zeitreise von Sibirien über Toronto bis nach Berlin und Traumbilder von betörender Schönheit. Ein Schleier von zarten Pastelltönen zieht sich über die Erinnerungen der griechischen Emigranten Spiros und Eleni, die wie Odysseus durch viele Länder irren. Den Liebenden bleibt nur wenig Raum für ihre Liebe. Als sie sich nach Stalins Tod in Taschkent treffen, um miteinander zu fliehen, wird Eleni nach Sibirien verbannt, während Spiros in die USA zurückkehrt. Erst 35 Jahre später, nach dem Mauerfall in Berlin, ist das Paar wieder vereint. Doch am Silvesterabend nimmt sich der treueste Freund der Familie, dessen stille Liebe zu Eleni keine Erfüllung fand, das Leben. Von wegen dieser Film sei langatmig, wie Kritiker auf der Berlinale meinten: Man muss sich nur auf den Erzählfluss und die komplexe Dramaturgie einlassen, dann leuchtet dieses Werk wie ein cineastisches Juwel. klGR/I/D/RU 2008. R: THEO ANGELOPOULOS; D: MICHEL PICCOLI, WILLEM DAFOE, BRUNO GANZ, CHRSTIANE PAUL u.a., 125 MIN., KINOSTART: 29.10.09