SACHSEN, SACHSEN-ANHALT, THÜRINGEN | "Es ist erstaunlich, wie schnell wir in den Gesprächen von privaten Themen zu politischen kommen. Egal, ob wir über Kinder, Arbeit oder Bildung reden." So fasst die Chemnitzerin Elke Teller die Gespräche und Begegnungen auf dem Münchener Treffen Anfang Oktober zusammen. Die Münchener Frauen hatten ver.dianerinnen aus den Landesbezirken Bayern und Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen zu einer "Spurensuche Ost-West" eingeladen, 20 Jahre nach dem Mauerfall. Sich mit dem Scheitern eines sozialistischen Modells auseinanderzusetzen, war nur ein Anliegen. Die Teilnehmerinnen wollten sich über alternative Erfahrungen und Gesellschaftsformen austauschen - vor allem angesichts der gegenwärtig angebotenen sozial-politischen Modelle, einer weiterhin ausstehenden Gleichstellung sowie einer nicht geschlechtergerechten Arbeitsmarktpolitik.

Gewohnte Standards ändern

Jede Menge Themen hatten die Frauen mitgebracht, es gab ein volles Programm an beiden Tagen. Referate, Workshops und persönliche Gespräche drehten sich um Frauenleitbilder und Lebensrealitäten in Ost und West, Arbeit und Eigenständigkeit, den Paragraphen 218, Literatur und Theater, Liebe und Partnerschaft, Jugendzeit und Generation 50+, Bildung und feministisches Verständnis.

Die Realität für die Frauen heute ist anders, als sie es vor 20 Jahren erhofft oder befürchtet hatten. Ostdeutsche Frauen passen sich mit ihrem Eigensinn nicht an die alten westdeutschen Muster an, so Christina Klenner in ihrem Referat "Keine Retraditionalisierung der Geschlechterverhältnisse in Ostdeutschland". Sie wollen berufstätig sein, eine eigene Existenzsicherung, weder auf Kinder noch auf Erwerbsarbeit verzichten. Dies Modell ist bei ihnen stärker ausgeprägt als bei den West-Frauen.

Und doch haben sie einiges verloren: Sie werden weit mehr als sie wollen, in Teilzeit gedrängt, es gibt weniger Kinderbetreuung, die Ausbildungschancen und der Arbeitsalltag haben sich verschlechtert, der § 218 wird aufgeweicht. Fazit der Veranstaltung: Die Angleichung Ost-West ist mehr in Richtung der schlechteren Standards West verlaufen. Und diese wollen die Frauen aus Ost und West gemeinsam ändern.

Elke Teller, sie war Gleichstellungsbeauftragte in der Chemnitzer Stadtverwaltung, ist aufgefallen, wie viel entspannter die Frauen heute miteinander umgehen. Das war ein schwerer Anfang 1990, sagt sie. Frau sprach dieselbe Sprache und verstand sich doch nicht. Vorurteile, Belehrungen, Welterklären auf westdeutscher Seite. Das Reduzieren auf den Unrechtsstaat DDR verstellte auch den Blick dafür, dass sich die Ostfrauen nicht aus der Gesellschaft und dem Arbeitsleben drängen ließen. Dazu kamen die Diskreditierung der ostdeutschen Kinderbetreuung in der öffentlichen Wahrnehmung und die unsägliche Rabenmütterdiskussion. Die ostdeutschen Frauen wiederum hatten wenig feministische Ansätze. Chancengleichheit und Teilhabe waren Staatspolitik und ökonomischer Zwang. Dafür mussten sie nicht auf die Straße gehen. Aber sie haben ihre Chancen in Bildung und Beruf genutzt. Und ihre Töchter haben heute meist einen gleich hohen Anspruch.

Frauengeschichten in Bildern

Die Chemnitzer ver.di-Frauen brachten eine Fotoausstellung mit nach München: "Seid stolz, ihr Frauen". Sie wurde begeistert aufgenommen und wird noch in Bayern auf Tour gehen. Die Ausstellung zeigt Frauen mit Stolz auf ihren Beruf, auf das, was sie erreicht haben, auf Familie, Kinder und dass sie sich auch allein durchgekämpft haben. Es sind Frauen, auf der Straße angesprochen, aus vielen Berufs- und Altersgruppen, auf dem Titelfoto zwei junge gehörlose Frauen (siehe Foto), die ihren Platz im Leben gefunden haben. Die eine von ihnen zeigt in der Gebärdensprache: "seid stolz" - und die andere das Gebärdenzeichen für "ihr Frauen".

Die Leipziger Frauen bereiten eine Ausstellung vor mit dem originellen Titel: "Meine Mutter war auch nur eine Frau." Und vielleicht gelingt es den Dresdner Frauen, Frauengeschichten in Bildern zu erzählen.

Die ver.di- und die DGB-Frauen aus Bayern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen arbeiten gemeinsam weiter. Sie wollen darüber beraten, welches Gesellschaftsmodell tragbar ist, wie Frauen leben und arbeiten wollen und wie Arbeit, Arbeits- und Familienzeit umverteilt werden können, damit in der Arbeitswelt und im Leben nicht nur Männermodelle Maßstab sind.