Sabine Schanz fällt dem Herrn vom Arbeitsamt ins Wort, um die konkreten Fragen der Mitarbeiterinnen besser erläutert zu bekommen

Von Heide Platen (Text) und Bernd Hartung (Fotos)

Geschlossen? Jetzt schon? Eine ältere Kundin steht am Montagmorgen nach dem 2. Advent etwas ratlos vor dem Haupteingang der Karstadt-Filiale an der Westseite des Hanauer Freiheitsplatzes. Die Türen bleiben geschlossen bis „ca. 12:00 Uhr“ steht auf einem Schild hinter der Glastür. Im vierten Stock ist die Cafeteria dicht besetzt. Fast alle 85 Mitarbeiter/innen sind zur Betriebsversammlung gekommen. Erst seit sechs Tagen haben sie Gewissheit: Ihres ist eines der 13 Warenhäuser, die zum 31. März 2010 geschlossen werden. Im Inneren werben Karstadt-Plakate mit schönen, knallroten Päckchen und Schleifen: „Wir erfüllen Weihnachtswünsche.“ Das scheint bitterer Hohn. ver.di-Gewerkschaftssekretärin Angelika Schmidt sagt schon zum dritten Mal, dass ihr „seit Tagen ganz schlecht“ sei. Warum? „Warum wohl! Weil man die Menschen kennt und weiß, dass sie im Prinzip keine Perspektive haben!“ Die meisten sind schon lange Jahre bei Karstadt, haben den Wechsel des Traditionshauses miterlebt, von Hansa zu Hertie zu Karstadt. Sie haben hier gelernt, sich hochgearbeitet. Die durchschnittliche Beschäftigungsdauer beträgt derzeit 17 Jahre. „Das sind Schicksale. Das hängt mir so nach!“, sagt Schmidt. Eine Kollegin bringt es auf den Punkt: „Es kotzt uns alle an!“

Hier war immer ein Kaufhaus

Hier werden, sagt die Betriebsratsvorsitzende Sabine Schanz, nicht nur Arbeitsplätze vernichtet, sondern auch Lebenszusammenhänge zerschlagen. Die Belegschaft ist lange zusammen, „wie eine große Familie“, ein eingespieltes Team. Besonderer Zorn richtet sich außer auf die „verfehlte Firmenpolitik“ der letzten Jahre auch auf Hanaus Oberbürgermeister Claus Kaminsky, SPD. Der hatte sich, ein Novum in der Lokalpolitik, nicht etwa für den Erhalt der Arbeitsplätze in seiner Stadt eingesetzt, sondern im Lokalfernsehen gesagt, „dass zwei Kaufhäuser am Standort Hanau keine Perspektive“ hätten. Die Schließung sei eine Chance für die geplante, radikale Innenstadterneuerung. Ladengalerien sollen wachsen, dort, wo nach der Zerbombung der Innenstadt 1945 im Zweiten Weltkrieg triste Betonbauten und öde Plätze entstanden waren. „Aber immer“, verteidigt Schanz den Standort, „war hier ein Kaufhaus“. Gegründet wurde es 1929 von der jüdischen Familie Wronker, die ihre Kaufhauskette 1934 zwangsverkaufen musste, die fortan Hansa AG hieß und 1966 in Hertie umbenannt wurde. Nach aufwändigem Umbau wurde das Geschäft dann Mitte der 90er Jahre in Karstadt umbenannt.

Personalchef Andreas Otto spricht zu den Beschäftigten

In der Cafeteria hängen Plakate mit Roulettemotiven an der Wand. Sie erinnern an die gemeinsamen Aktivitäten, Spiele-Abende, Feste. Die Mitarbeiter sitzen eng beieinander und wirken noch immer geschockt. Die Perspektiven sind in der Tat trostlos. Zweieinhalb Monatsgehälter haben sie nach Ende des Arbeitsverhältnisses noch zu erwarten. "Wir machen, was wir können, aber wegen des Insolvenzrechtes", so Angelika Schmidt, "kriegen wir nicht mehr, als euch gesetzlich zusteht. Und auch darum müssen wir vielleicht noch kämpfen!". Abfindungen sind nicht drin. Immerhin, weil sie schon aus dem Konzern "rausgerechnet und abgeschrieben" sind, werden sie nicht auf ihr restliches Weihnachts- und Urlaubsgeld verzichten müssen. Über Interessenausgleich und Sozialplan wird in den kommenden Wochen verhandelt werden.

"Halten die uns für blöd?"

Sabine Schanz hat sofort nach Bekanntwerden der Schließung die Bundesagentur für Arbeit (BfA) kontaktiert, um der Belegschaft erste Orientierung zu geben. Die drei BfA-Angestellten tun sich schwer, der Versammlung die Zukunft schön-zureden. Sie verteilen Formulare und Prospekte und spulen ihr Programm ab, versuchen zu vermitteln, dass in der Agentur "niemandem der Kopf abgerissen" werde, Eigeninitiative gefragt sei, ältere Langzeitbeschäftigte, um nicht Langzeitarbeitslose zu werden, lernen müssten, moderne Bewerbungen zu schreiben. Die gestandenen, gelernten Fachverkäuferinnen sind eher irritiert. "Halten die uns für blöd?", fragt eine. Die Betriebsratsvorsitzende greift ein, als auch noch über Sperrfristen geredet werden soll: "Wir drehen uns hier im Kreis!". Viele der Ratschläge seien ohnehin verfehlt, weil niemand im Saal selbstverschuldet in die Arbeitslosigkeit geraten sei. Sie will eine gemeinsame Strategie aller Beschäftigten aller betroffenen Filialen. Mit Unterstützung von ver.di soll dabei wenigstens eine Transfergesellschaft für ein Jahr herauskommen. Angelika Schmidt bietet Einzelberatungen an und weiß sich da einig mit Karstadt-Personalleiter Andreas Otto. Auch er, verspricht er, wolle sich dafür einsetzen, neue Arbeitsplätze zu finden und dabei die Bedürfnisse der einzelnen möglichst zu berücksichtigen. Dafür brauche es einfach Zeit.

Den Frauen wird langsam klar, wie die nächsten drei Monate und das Leben danach aussehen werden

Sein Ausblick auf die Zeit nach der Schließung hebt die Stimmung der Betriebsversammlung auch nicht gerade. Die vier Geschäftsetagen werden stockwerkweise geräumt werden, von oben nach unten, bis die Restposten, die nicht auf Firmenlager anderswo verteilt werden können, im Erdgeschoss angelangt sind. Die Mitarbeiter fürchten die Schnäppchenjäger, die dann ihren Arbeitsplatz, der auch "zweites Zuhause" war, fleddern werden. Sie haben in der Vorweihnachtszeit zusammen mit der Filialleitung eine Anzeige in den Lokalzeitungen geschaltet, in der sie den Kunden für die "langjährige Treue" danken und bitten, die Mitarbeiter "gerade jetzt, in der besinnlichen und für uns ohnehin schwierigen Adventszeit" nicht auch noch "mit Fragen über die Schließung" und "persönliches Befinden" zusätzlich zu belasten.


13 Karstadt-Häuser müssen schließen

Hier war immer ein Kaufhaus

Im Zuge der Karstadt-Insolvenz werden 2010 bundesweit 13 Karstadt-Häuser mit insgesamt nahezu 1 200 Mitarbeiter/innen geschlossen. Betroffen sind Warenhaus-Standorte in Kaiserslautern, Ludwigsburg und Hanau, die Sport- und Multimedia-Filiale in Celle, die "Living"-Filialen in Hannover, die Filiale "Alter Markt" in Kiel sowie das Sporthaus Recklinghausen. Schon Mitte November hatte der Insolvenzverwalter die Schließung des Technikhauses in der Dortmunder Kampstraße, der Warenhaus-Filiale im Elbe-Zentrum Hamburg und des "Haus am Dom" in München sowie der Multi-Media-Fachmärkte in Berlin-Biesdorf, Braunschweig und Stuttgart angekündigt.

Einzelnen Beschäftigten sollen Stellen in den weiter bestehenden 86 Warenhäusern, 26 Sportfilialen und acht Schnäppchencentern angeboten werden. Die Mehrzahl der von den Schließungen betroffenen Mitarbeiter/innen wird jedoch voraussichtlich in eine Transfergesellschaft wechseln.

Die Beschäftigten leisten über einen "Fortführungstarifvertrag" einen Sanierungsbeitrag von 150 Millionen Euro (s. Publik 11/09). Auch der Vermieter Highstreet, Lieferanten und andere Dienstleister beteiligen sich an der Karstadt-Sanierung; die genaue Höhe der Beiträge gab die Insolvenzverwaltung nicht bekannt. gg