So kann es auch im wirklichen Leben aussehen. Dies ist glücklicherweise nur ein Deeskalationstraining bei den Berliner Verkehrsbetrieben

Mit einem Samuraischwert tötete im September 2003 ein 24-jähriger Angestellter in der Verwaltung des Versandhändlers Bader in Pforzheim eine Angestellte, drei weitere wurden schwer verletzt. Der Täter arbeitete ebenfalls für das Unternehmen. Solch drastische Fälle kommen in Deutschland selten vor. Dennoch ist Gewalt am Arbeitsplatz für Menschen in vielen Berufsgruppen eine alltägliche Gefahr. Besonders betroffen sind Beschäftigte mit direktem Kundenkontakt, in Behörden und Jobcentern, in Einzelhandel und Nahverkehr, aber auch im Gesundheitsdienst, in der Pflege.

Tatort Bus

Das wurde auch auf der Sicherheitskonferenz des ver.di-Landesbezirks Berlin-Brandenburg Ende November von vielen Betroffenen bestätigt. "Seit 2001 häufen sich die Meldungen der Kollegen im Personalratsbüro", sagt Axel Schröder, Mitglied im Gesamtpersonalrat der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) und Sprecher der ver.di-Landesfachgruppe Straßenpersonenverkehr. Der BVG-Personalrat führt seitdem eine Statistik, die belegt: In der Zeit von 2003 bis November 2009 wurden 3 858 Übergriffe von Fahrgästen auf BVG-Beschäftigte gezählt. In der Mehrzahl waren die Opfer danach arbeitsunfähig, nur 577 wurden nicht krankgeschrieben. Die Übergriffe ereignen sich vor allem nach Schulschluss, aber auch zur klassischen Feierabendzeit von 16 bis 18 Uhr. Die BVG schult die Beschäftigten in Deeskalations- und Abwehrtechniken, Axel Schröder sieht aber auch die Politik in der Verantwortung. "Die Täter erhalten bisher ein relativ geringes Strafmaß", stellt er fest. Deshalb fordert die ver.di-Landesfachgruppe, dass der Paragraph 316 d des Strafgesetzbuches ergänzt wird. Er soll dann auch folgenden Text enthalten: "Zu einer Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren wird bestraft, ... wer einen Angriff auf die Entschlussfreiheit, Leib oder Leben einer anderen Person unter Ausnutzung der besonderen Verhältnisse im Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) unternimmt." Dazu hat Jens Gröger, ver.di-Landesfachbereichsleiter, eine Petition beim Bundestag eingereicht, die gerade geprüft wird. Unterstützt wird die Petition von 1 734 Mitzeichnern, zusätzlich hat die Fachgruppe rund 30 000 Unterschriften gesammelt. Dass das Problem damit gelöst wird, ist unwahrscheinlich. Personal- und Betriebsräte, Beschäftigte und Arbeitgeber müssen gemeinsam Strategien gegen Gewalt entwickeln und durchsetzen. Axel Schröder plädiert deshalb dafür, dass sich die Personalräte bundesweit untereinander vernetzen.

Bedroht im Amt

Konzepte entwickeln, Hilfe und Ansprechpartner bieten - das sind die Aufgaben des Arbeitskreises "Gewalt am Arbeitsplatz" des Bundeslandes Hamburg. Die Arbeitsgruppe ist beim Personalamt angesiedelt, vertreten sind Angestellte und Beamte verschiedener Behörden und haupt- und ehrenamtliche Vertreter der Gewerkschaften. Allerdings verfügt die Arbeitsgruppe weder über Finanzmittel, noch hat sie Weisungskompetenz. "Die Umsetzung von Konzepten des Arbeitskreises ist je nach Behörde unterschiedlich", sagt Renate Götze vom ver.di-Landesfachbereich Bund/Länder in Hamburg und Mitglied der Arbeitsgruppe. "Wo wir aktive Personalräte haben, passiert auch was." Wichtig sei die Liste mit Ansprechpartnern in den Dienststellen, die die Arbeitsgruppe ins Internet gestellt hat.

Im Hamburger Bezirksamt Eimsbüttel attackierte im April vergangenen Jahres eine psychisch Kranke eine Beschäftigte mit dem Messer und verletzte sie schwer. "Die Kollegin war erst nach einem Jahr wieder im Dienst", sagt Siegfried Serwinski vom Personalrat. Schlimmer als die körperlichen Verletzungen war das erlittene Trauma. Nach dem Übergriff kam einiges in Gang: So wurde die Hausordnung überarbeitet, akustische Alarmgeräte und Seminare zur Krisenintervention werden den Beschäftigten angeboten. Zusätzlich wurde ein Sichtfenster in die Tür des Raumes eingebaut, in dem der Angriff geschah. Über ein computergesteuertes Rundrufsystem kann jeder, der sich bedroht fühlt, die Kollegen alarmieren. "Es gibt dann ein akustisches und visuelles Signal. Auf allen Bildschirmen erscheint die Meldung Bitte in Raum XY gehen", erklärt Siegfried Serwinski. Nur durch dreimaliges Drücken einer Tastenkombination lässt sich der Hinweis wieder von den Bildschirmen entfernen.

Die Erwachsenenbewährungshilfe im Bezirksamt Eimsbüttel hat ein Alarmsystem mit Direktleitung zur Polizei. "Diese Systeme funktionieren im Notfall nur, wenn das regelmäßig geübt wird", sagt Siegfried Serwinski. Zusätzlich wurden die Sicherheits- und Verhaltensmaßnahmen im Bezirksamt Eimsbüttel von Experten des Landeskriminalamtes überprüft - und als vorbildlich eingestuft. "Unser Haus geht gut mit dem Thema um", sagt Siegfried Serwinski. "Der Dienstherr vertritt den Standpunkt: Am Geld soll es nicht liegen."

Einige Landeskriminalämter bieten für die Beschäftigten Seminare zum Thema an. In Berlin ist dafür das "Anti-Gewalt-Projekt" der Abteilung Prävention zuständig. Für verschiedene Berufsgruppen, von Mitarbeitern in Behörden über Beschäftigte im Einzelhandel bis zu Lehrkräften, werden Workshops angeboten. Kampftechniken gehören nicht zum Programm; von Pfefferspray zum Beispiel rät die Polizei ab. Die Beschäftigten sollen Auslöser von Gewalt erkennen, aber auch einfache Selbstschutzmaßnahmen - wie Absprachen mit Kollegen - umsetzen können.

Zuständig für Gewalt am Arbeitsplatz sind auch die Berufsgenossenschaften. Gewaltvorfälle gelten als Arbeitsunfälle und sollten prinzipiell gemeldet werden.

Allein im Laden

Die Beschäftigten der Drogeriekette Schlecker sind besonders von Überfällen betroffen. Oft sind sie allein in verwinkelten Geschäften und bieten so eine leichte Beute für Kriminelle. ver.di forderte für den Einzelhandel schon in der Tarifrunde 2008 einen Sicherheitstarifvertrag. Beim Tarifabschluss konnte wenigstens eine Protokollnotiz durchgesetzt werden. Danach sollen die Tarifparteien zum Thema Gewalt im Gespräch bleiben und die Berufsgenossenschaften einbeziehen. "Neben vielen technischen Details fordern wir eine Mindestbesetzung in den Läden", betont Folkert Küpers, ver.di-Gewerkschaftssekretär in Nordrhein-Westfalen.

In der Industrie gilt in einigen Bereichen die Vorgabe der Berufsgenossenschaften, dass bestimmte Maschinen nur laufen dürfen, wenn mindestens zwei Beschäftigte dabei sind. ver.di wünscht sich das auch für den Einzelhandel, stößt bei den Arbeitgebern aber bisher auf taube Ohren. Dabei haben der Europäische Gewerkschaftsbund (EGB) und die Europäischen Arbeitgeberorganisationen BUSINESSEUROPE, CEEP und UEAPME 2007 eine Vereinbarung unterzeichnet, in der sie sich verpflichten, gegen Gewalt und Belästigung am Arbeitsplatz vorzugehen. Neben einer Null-Toleranz-Politik müssen die Arbeitgeber Verfahren gegen Belästigung und Gewalt ausarbeiten.

Gegen Gewalt - Informationen und Kontakte im Internet