Kaum ist Schwarz-Gelb am Ruder, bläst den gesetzlich Krankenversicherten ein kalter Wind ins Gesicht. Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) aus Niedersachsen will "auch gegen Widerstände ein neues Gesundheitssystem durchsetzen". Der Freidemokrat fordert mehr Wettbewerb und mehr Freiheit - bei der Wahl der Therapie, des Arztes und der Krankenkasse. Hört sich gut an, wenn diese Freiheit nicht mit gravierenden Eingriffen in das solidarische Gesundheitssystem verbunden wäre. ver.di sowie der Sozialverband Deutschland (SoVD) warnen vor einem radikalen Systemwechsel.

FDP will gesetzlich Krankenversicherte zur Ader lassen

Im Koalitionsvertrag haben Union und FDP vereinbart, dass die Kassen ab 2011 wieder unterschiedlich hohe Beiträge statt des Einheitsbeitrags von 14,9 Prozent kassieren dürfen. Mögliche Prämienerhöhungen sollen die Versicherten allein tragen. Der Arbeitgeberanteil von sieben Prozent soll eingefroren, der bisherige Beitrag von Arbeitseinkommen oder Rente, derzeit 7,9 Prozent, möglicherweise teilweise oder ganz auf einen Pauschalbetrag umgestellt werden.

Große Kassen verlieren

Die Finanzierung der Krankenkassen über Kopfpauschalen würde die Versicherten nach AOK-Berechnungen monatlich rund 140 Euro kosten. Würden auch bisher beitragsfrei mitversicherte Familienangehörige eine Kopfpauschale zahlen, läge der monatliche Beitrag bei 100 Euro. Auch der erst 2009 eingeführte krankheitsbezogene Risikostrukturausgleich zugunsten der großen Versorgerkassen soll abgeschafft werden. Dagegen wird der Einstieg in die Private Krankenversicherung (PKV) erleichtert. "Eine typische FDP-Klientel-Politik, bei der Ärzte und Apotheker die Gewinner sind", kritisiert ver.di-Landesleiter Siegfried Sauer.

Spaltung der Gesellschaft

"Geringverdiener, kranke und behinderte Menschen sind die Leidtragenden des Koalitionsvertrages. Durch ihn wird die Entsolidarisierung der Gesellschaft weiter massiv vorangetrieben", sagt auch SoVD-Landesvorsitzender Adolf Bauer. Der Verweis auf Zusatzversicherungen sei zutiefst unsozial, damit würden Gesundheitsrisiken in bislang nicht gekannter Dimension privatisiert. Eine zunehmende Zahl von Menschen könne sich schon jetzt ausreichenden Krankenversicherungsschutz nicht mehr leisten. Der geplante "Ausgleich" über das Steuersystem werde dies nicht verhindern können. "Immer mehr Menschen werden so als bedürftig abgestempelt, ihr medizinischer Schutz wird der schwankenden staatlichen Haushaltslage ausgeliefert."

Die Ankündigung, einkommensunabhängige Arbeitnehmerbeiträge einzuführen, lehnen ver.di und der SoVD vehement ab. "Dies bedeutet den endgültigen Abschied von der solidarischen Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung", so Bauer. Außerdem handele es sich um nichts anderes als zutiefst unsolidarische Kopfpauschalen. Dies gelte unabhängig von der Höhe einer solchen Kopfpauschale. Der SoVD kritisiert zudem, dass durch den erleichterten Wechsel in die PKV die gesetzliche Krankenversicherung geschwächt wird. Ein sozialer Ausgleich zwischen beiden Systemen durch Beteiligung der PKV am Risikostrukturausgleich wird gar nicht erst in Erwägung gezogen, ebenso wenig wie eine Angleichung der beiden Vergütungssysteme.