Der Automobilzulieferer Delphi im portugiesischen Braga hat den 600 Beschäftigten Kurzarbeit verordnet, ohne Lohnausgleich, bis März 2010. Amélia Lopes von der Gewerkschaft der Elektroindustrie ist empört: "Die Leute haben 2009 nur in vier Monaten das volle Gehalt nach Hause gebracht!" Wie in Braga läuft es vielerorts im Land. "Die Regierung lässt zu, dass die Bosse die Löhne drücken", sagt Carvalho da Silva, Generalsekretär von Portugals größter Gewerkschaft CGTP-Intersindical Nacional. Die Unternehmer nutzen die Arbeitsgesetze, die von den regierenden Sozialisten reformiert wurden. Daran hielt die Mannschaft von Premier José Socrates seit 2005 fest: Eindämmung des Haushaltsdefizits, Privatisierungen, Kürzung der Renten. Doch der Markt verweigerte dem Konjunkturmotor die Starthilfe.

Aussitzen, Ignorieren, Kleinreden - das waren die Reaktionen der Regierung auf Protest, der bis in die eigene Partei reicht. Mit der Basta-Politik ist es für Portugals Sozialistische Partei (PS) jetzt aber vorbei. Bei den Parlamentswahlen im Herbst blieb sie mit 36,6 Prozent zwar stärkste Kraft, büßte aber ihre absolute Mehrheit ein. Der Premier steht nun an der Spitze einer Minderheitsregierung. Die Zwischenbilanz der Regierung ist ernüchternd. Die offizielle Erwerbslosenquote geht auf die zehn-Prozent-Marke zu. In dem 10,6-Millionen-Einwohner-Land haben 1,2 Millionen nur eine prekäre Beschäftigung. Jeder fünfte lebt in oder am Rande von Armut, die statistische Grenze liegt bei einem Monatslohn von 406 Euro, der gesetzliche Mindestlohn bei 450 Euro. Verantwortlich für die Ausweitung prekärer Beschäftigung ist auch der Privatisierungskurs in der öffentlichen Verwaltung, in der Wasserversorgung, im Transport- und Gesundheitswesen. Im Juni wurde die staatliche Bahngesellschaft CP in ein Unternehmen öffentlichen Rechts umgewandelt. Ebenso ergeht es zahlreichen Krankenhäusern. Im Gesundheitsbereich sind die Folgen besonders augenfällig: Hier ist mittlerweile jede dritte Krankenschwester nur noch befristet angestellt.

Politische Generalstreiks

Hauptforderungen der Gewerkschaften sind die Stärkung des Binnenmarktes und reguläre Beschäftigung. Ihre Kampagnen richten sich auf eine Anhebung des Mindestlohns auf zunächst 500 Euro und eine Wiederherstellung der 2008 gekürzten Rentenformel. Unter einem Politikwechsel verstehen sie auch höhere lokale Investitionen. Sócrates hingegen setzt auf Großprojekte wie den neuen Lissaboner Flughafen.

Die politische Kräfteverschiebung sieht Portugals größte Gewerkschaft CGTP-Intersindical Nacional auch als ihren Erfolg. Ihr Kampf habe entscheidend dazu beigetragen, eine unsoziale Politik zu entlarven. Tatsächlich hat Portugal Massenaktionen wie seit Jahrzehnten nicht mehr erlebt. Mit landesweiten Protesttagen und politischen Generalstreiks wurde vier Jahre lang gegen Vorhaben der Regierung Druck gemacht. Der öffentliche Dienst lief Sturm gegen strukturelle Einschnitte und Stellenabbau. An der Spitze stand mit der Intersindical eine Kraft, die sich als Klassenorganisation versteht und in der Tradition der Nelkenrevolution von 1974 demokratische Rechte verteidigt. Zu ihr gehören die größten Industriegewerkschaften und die Frente Comum,der Zusammenschluss der Arbeitnehmerorganisationen des öffentlichen Dienstes mit 300 000 Mitgliedern. Eine Korrektur der bisherigen Politik kommt nicht im Selbstlauf. Generalsekretär da Silva sagt: "Die Entwicklung des Landes steht auf dem Spiel. Es ist nötig, mit dem ökonomischen Modell zu brechen, das in den letzten Jahrzehnten eingeführt wurde."