Ausgabe 03/2010
Anspruch und Wirklichkeit
Studierende protestieren gegen die Sparmaßnahmen an den Universitäten, wie hier in Leipzig
Von Birgit Tragsdorf
Universitäten und Hochschulen haben in den letzten Jahren aufgrund politischer Vorgaben und ökonomischer Zwänge ihre Strukturen und auch das Studium stark verändert. Die Entscheidungen in Bologna vor zehn Jahren, einen einheitlichen europäischen Hochschulraum zu schaffen, hatten die Linien vorgezeichnet: Sie sollen vergleichbare Studiengänge und Abschlüsse, aber auch ein schnelleres und preiswerteres Studium ermöglichen.
Kaum eine der Hochschulen in Sachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt schaffte allerdings einen glatten Übergang zu den Veränderungen. Deshalb protestierten die Studierenden im vergangenen Jahr auch gegen die Umsetzung der neuen Studienstrukturen. Sie funktionieren schlecht. Die Länder regeln das Procedere für ihre Hochschulen selbst. Das Streben der Hochschulen nach Selbstständigkeit ist in allen Ländern ähnlich, aber auch der Vorrang des Ökonomischen und der Umbau von Beschäftigungsverhältnissen im wissenschaftlichen Mittelbau in überwiegend befristete Stellen.
Finanzen müssen ausreichen
Die Finanzministerien bestimmen das Budget der Hochschulen und damit auch, wieviel Personal sie sich leisten können. Bis zu 80 Prozent der Kosten sind Personalkosten. Alle Hochschulen haben über Jahre kontinuierlich Stellen abbauen müssen. Bereiche des nichtwissenschaftlichen Personals wurden ausgegliedert, die Verwaltungen reduziert. In Sachsen kam der große Schnitt 1992/93, aber auch im neuen Haushaltsplan sollen wieder 300 Stellen gestrichen werden. Allerdings sieht das Sächsische Hochschulgesetz eine Experimentierklausel vor, die es ermöglicht, die Tarifautonomie auf die Hochschule zu übertragen. Das heißt, die TU Dresden kann beispielsweise Arbeitgeberstatus erhalten und einen Haustarif abschließen, abgekoppelt vom Tarifvertrag der Länder. Im Koalitionsvertrag von CDU und FDP in Sachsen ist eine Übertragung der Klausel auf alle Hochschulen vorgesehen.
In Lehre und Forschung verändern sich die Beschäftigungsverhältnisse stark. So teilen sich in Sachsen 14 000 wissenschaftliche Mitarbeiter/innen etwa 6 600 Stellen. Im wissenschaftlichen Mittelbau dominieren die Teilzeitstellen. In der Regel werden die Stellen halbiert. Der Personalrat will jedoch Vollzeitstellen im wissenschaftlichen Bereich, sagt Rüdiger Glauche, Hauptpersonalratsvorsitzender. Ein weiteres Personalproblem ist die Befristung. Von 1996 bis heute verringerte sich die Zahl der unbefristeten Stellen in Sachsen von 3 926 auf 3 032. Diese Tendenz gilt für alle Hochschulen in den drei Ländern unseres Landesbezirkes. Rainer Herter, Personalrat der Martin-Luther-Universität Halle, beschreibt eine mögliche Wunschvorstellung des Senates in Halle so: Zwischen Sekretärin und Professor gibt es nur befristete Stellen - 65 Prozent an einer Uni könnten somit befristet sein, nur 35 Prozent wären unbefristet. Das tragen die Personalvertretungen natürlich nicht mit. Wer forscht, promoviert und lehrt, darf dies nicht in prekären Verhältnissen tun müssen.
ver.di für bessere Tarifregeln
Die vorhandenen Stellen an der Uni Halle sieht der Personalrat momentan nicht ausreichend finanziert, 180 Stellen können derzeit nicht besetzt werden: Somit werden jährlich bis zu 24 000 Lehrstunden nicht gehalten. Es fehlen bis zu zwölf Millionen Euro pro Jahr, um die Aufgaben in Lehre und Forschung erfüllen zu können, schätzen die ver.di-Mitglieder der Uni. Hinzu kommt, dass bei künftigen Tariferhöhungen zehn Prozent von den Hochschulen selbst erwirtschaftet werden sollen. Das bedeutet nichts anderes als eine Kürzung des Budgets.
In der Diskussion zur Thüringer Hochschulpolitik positioniert sich ver.di für verbesserte Arbeitsbedingungen des akademischen Mittelbaus: soziale Sicherung von Promovierenden, keine unentgeltliche Lehre, keine Vertragslaufzeiten unter sechs Monaten und keine Drittel- und Viertelstellen, also keine Förderung von prekären Arbeitsverhältnissen. Auf einem Hochschulgipfel in Erfurt versprach der Bildungsminister immerhin eine Mittelaufstockung von 3,7 Millionen Euro.