Juan Evo Morales Ayma wurde am 26. Oktober 1959 als Kind einer extrem armen Bauernfamilie im bolivianischen Oruro geboren. Nur drei seiner sechs Geschwister überlebten. Im Zuge der harten sozialen Auseinandersetzungen wurde er in der Gewerkschaft der Kokabauern aktiv. 1985 wurde er ihr Generalsekretär. 1997 fusionierte seine Bauernbewegung mit der Linkspartei MAS. Mit Unterstützung der Landarbeiter und indigenen Bevölkerungsmehrheit wurde Evo Morales Ende 2005 erstmals zum Präsidenten Boliviens gewählt. Sein gewerkschaftliches Engagement hat er dennoch nie aufgegeben.

Von Harald Neuber

Die Überraschung stand den 300 Delegierten der Antidrogenkonferenz ins Gesicht geschrieben, als Boliviens Präsident Evo Morales plötzlich das Blatt eines Koka-Strauches in die Höhe hielt. "Koka-Blätter sind kein Kokain", erklärte der Staatschef seinem Publikum bei dem internationalen Treffen im März 2009 in Österreichs Hauptstadt Wien. Koka werde seit drei Jahrtausenden angebaut und sei Teil der Kultur der Andenvölker, so Morales in seiner Rede, der auch Innen- und Justizminister aus über 50 Staaten lauschten.

Es war ein typischer Auftritt des 50-jährigen Staatschefs, der aus einer Familie des Aymara-Volks stammt. Der Kampf der Koka-Bauern Boliviens ist immerhin eng mit der Biografie des ersten indigenen Präsidenten des Landes verbunden. Seit Ende der 70er Jahre lebte seine Familie in der Region Chapare, einem Zentrum des bolivianischen Koka-Anbaus. Als Aktivist der Bauerngewerkschaft bekam Morales die Kriminalisierung dieser den Nachfahren der Ureinwohner heiligen Pflanze hautnah mit. Vor allem auf Druck der USA verschärften die von der weißen Oberschicht kontrollierten Regierungen in den 80er Jahren den Kampf gegen die indigene Koka-Kultur.

Sozial fest verankert

Die Entwicklung fand 1988 mit dem "Gesetz 1008" ihren vorläufigen Höhepunkt. Die damals regierende Rechtspartei MNR schränkte ohne weitere Beratungen mit der indigenen Mehrheit - sie stellt mehr als 60 Prozent der Bevölkerung - den Anbau der Kokapflanze ein. Die Felder konnten von Polizei und Armee ohne Entschädigung zerstört und vernichtet werden. Bei den folgenden Auseinandersetzungen starben etliche Dutzend Menschen.

Auch Evo Morales, inzwischen Gewerkschaftschef im Chapare, geriet ins Visier. Angehörige der militarisierten Landpolizei stießen ihn bei einer Auseinandersetzung von einem Felsen herunter. Er überlebte den Mordanschlag knapp - und wurde berühmt. Als er später im Gefängnis saß, sagt Morales, sei ein Satz im Radio immer wieder übertragen worden: "Im Chapare gibt es tausende Evos."

Es war diese soziale Verankerung, die Evo Morales bei den Präsidentschaftswahlen Mitte Dezember 2005 zu einem deutlichen Sieg verhalf: 54 Prozent der Stimmen entfielen auf den Außenseiter in einem Parteiensystem, das bis dahin von einer kleinen Minderheit europäischer Einwanderer kontrolliert wurde. Morales' "Bewegung zum Sozialismus" (MAS) war angetreten, deren Herrschaft zu brechen. Trotz des massiven und oft gewalttätigen Widerstandes der Oberschicht gelingt ihm sein Reformprojekt bislang. Bei den letzten Präsidentschaftswahlen Ende 2009 wurde Morales gar mit 64 Prozent der Stimmen im Amt bestätigt.

Eine Begründung für diesen Erfolg liefert die bürgerlich argentinische Präsidentin Christina Kirchner in Oliver Stones jüngstem Dokumentarfilm South of the Border: "Wenn Sie in das Gesicht von Evo sehen, dann sehen Sie das Gesicht Boliviens."

Kokabauern im Wasserkrieg

Der Bauernpräsident steht in den sozialen Kämpfen seines Landes meistens an der Spitze der Bewegung. Als im Jahre 2000 in Bolivien der "Wasserkrieg" losbrach - eine massive Protestbewegung gegen die geplante Privatisierung des Trinkwassers im Kreis Cochabamba -, standen Morales und seine Gewerkschaft der Kokabauern mit an vorderster Front. Auch drei Jahre später im so genannten "Gaskrieg", bei dem sich die Menschen im Departement Tarija gegen den Export der Erdgasvorkommen zur Wehr setzten, gehörte Morales zu den Vorkämpfern.

Erstmals brachte er die Herrschaft der Oligarchie ins Wanken: Auf dem Höhepunkt der Proteste musste der damalige Staatschef Gonzálo Sánchez de Lozada fliehen. Bei den Konflikten waren zuvor mindestens 66 Menschen von Polizei und Armee getötet worden.

Morales' Engagement gegen den neoliberalen Ausverkauf des Landes bestimmt sein politisches Selbstverständnis bis heute. "Ich fühle mich nach wie vor mehr als Gewerkschaftsführer denn als Präsident", sagte er ein Jahr nach seiner ersten Wahl im Gespräch mit dem Journalisten Pablo Stefanoni von der linksliberalen argentinischen Tageszeitung Página 12. Es gefalle ihm auch nicht, wenn er als Präsident bezeichnet werde. "In meinen Ohren zeugt es von mehr Vertrauen, wenn mich die Leute einfach nur ,Evo' oder ,Compañero' nennen", sagte der Präsident. Es mag dieser Haltung geschuldet sein, dass die Kokabauern Evo Morales jetzt, im Juni 2010, erneut zu ihrem Generalsekretär ernannt haben. Diesen Posten hat er inzwischen seit über zwei Jahrzehnten inne.

Politische Weggefährten und Beobachter betonen das hohe politische Verantwortungsgefühl von Evo Morales. Er habe einmal gesagt, er sei "mit dem Volk verheiratet", erzählt der in Deutschland lebende Morales-Biograf Muruchi Poma, der die Beziehungen zwischen der Regierung und den sozialen Bewegungen aber nicht durchweg positiv bewertet. "Die sozialen Organisationen in den Städten sind mitunter parteipolitisch gebunden und deswegen gegen die MAS-Regierung", sagt der Biograf. Die Kluft zwischen diesen sozialen Gruppierungen und dem ehemaligen Kokabauern Juan Evo Morales Ayma sei deswegen bis heute nicht überwunden worden.

Kapitalismus und Klimawandel

Gezeigt hat sich das jüngst im Mai, als der Gewerkschaftsverband COB zu Streik und Protestmärschen aufrief. Lehrer, Ärzte und Bergarbeiter stritten für erheblich höhere Löhne, die Regierung wollte die Forderung nach 14 Prozent mehr Lohn und Gehalt jedoch nicht erfüllen. Der Konflikt war zwar nach wenigen Tagen zu Ende, warf aber ein Schlaglicht auf ein latentes Konfliktpotential auch innerhalb der linken MAS-Regierung. Dennoch bewertet etwa Boliviens Botschafter in Berlin, Walter Prudencio, das Verhältnis zwischen Regierung und sozialen Bewegungen positiv. Mit seinen Auftritten an jedem 1. Mai "knüpft Evo Morales an den Kampf der Arbeiter gegen ein globales Wirtschaftsmodell an, das die Armut fördert", sagt er. Nur so könne das historische Projekt der Dekolonisierung vorangetrieben werden. Und: "Die Verbundenheit des Präsidenten mit der Gewerkschaftsbewegung ist der Motor des Wandels in Bolivien."

Das gilt nicht nur für den Andenstaat, der zwar reich an Bodenschätzen ist, dessen Bevölkerung mehrheitlich dennoch in Armut lebt. Nach dem Scheitern der Uno-Klimakonferenz in Kopenhagen lud Evo Morales soziale Bewegungen weltweit zu einem Alternativgipfel nach Bolivien ein. Zehntausende kamen. "Es ist unsere Pflicht, die Gründe für den Klimawandel herauszufinden", sagte Morales vor den internationalen Gästen: "Vor meinem Volk und vor der Weltbevölkerung sage ich: Die Ursachen liegen im Wesen des Kapitalismus."

"Ich fühle mich nach wie vor mehr als Gewerkschaftsführer denn als Präsident"