LOTHAR BOCHAT (64), ver.di-Lohnsteuerbeauftragter

ver.di PUBLIK | Sie beraten für ver.di Berlin Mitglieder, die mehr oder weniger hilflos vor ihrer Einkommenssteuererklärung sitzen. Lieben Sie Zahlen?

LOTHAR BOCHAT | Nein, der große Fan von Rechnungen bin ich nicht. Es muss für mich alles ganz handfest und vorstellbar bleiben. Wichtig ist in der Beratung, was die Leute konkret berichten. Das wandle ich dann in Zahlen um, die ein bisschen mehr Steuergerechtigkeit durchsetzen sollen. Darum geht's mir, davon profitieren alle, die zu uns kommen. Und das Programm im Computer sagt mir dann selbst, wie ich die Angaben in Zahlen umsetzen muss. Es will mich im Zweifelsfall sogar korrigieren, aber es hat dabei nicht immer recht.

ver.di PUBLIK | Wie sind Sie auf die Idee gekommen, dieses Ehrenamt zu übernehmen?

BOCHAT | Ich bin seit 28 Jahren Versichertenberater der Deutschen Rentenversicherung Bund, berate also Menschen, die Fragen zu ihrer Rente haben. Seit nun auch Rentner eine Steuererklärung abliefern müssen, kommen immer mehr Fragen dazu. Viele ältere Leute dachten, sie hätten mit dem Finanzamt nach dem Ende ihres Berufslebens glücklicherweise nie wieder was zu tun – und erleben nun ein unliebsames Erwachen. Als ich dann erfuhr, dass bei ver.di-Lohnsteuerbeauftragte gesucht werden, habe ich mich gemeldet. Das passte gut zusammen, fand ich.

ver.di PUBLIK | Ende vorigen Jahres stand in ver.di PUBLIK: "ver.di sucht die Super-Lohnsteuerbeauftragten". Zum "Casting" haben sich daraufhin viele Interessierte gemeldet. Was erleben die Neulinge?

BOCHAT | Zuerst ein einwöchiges Grundseminar, das war auch bei mir so. Danach schaut man bei einigen Beratungen einem Erfahrenen über die Schulter. Und schließlich gibt es für alle, die Mitglieder beraten, jedes Jahr einen Aktualisierungskurs. Der ist Pflicht. Das ist einer der Unterschiede zu Profi-Steuerberatern. Die sind nicht zu ständiger Fortbildung gezwungen, wir schon.

ver.di PUBLIK | Wie viele Mitglieder beraten Sie im Jahr?

BOCHAT | Es ist nicht so doll, was ich da an Mengen wegschaufele, zehn bis 20 Beratungen im Jahr. Ich habe mich inzwischen auf Sprechstunden in Betrieben spezialisiert, bei Karstadt zum Beispiel. Dann können die Leute in ihrer Pause zu uns kommen.

ver.di PUBLIK | Und wer kommt?

BOCHAT | Ein ganz bunter Mix. Viele sind jedes Jahr dabei und wissen genau, welche Belege sie brauchen. Manche haben den Termin aber auch ewig vor sich hergeschoben und erscheinen dann mit einem Chaos aus unsortierten Papieren. Aber das macht nichts, Hauptsache, sie bringen überhaupt Unterlagen mit – und sei es der Nachweis über den gezahlten Gewerkschaftsbeitrag. Bei einigen stellen wir im Gespräch fest, dass sie in den vergangenen Jahren viel Geld nicht zurückgefordert haben, das ihnen zugestanden hätte. Das tut weh, ihnen sowieso, und mir auch. Wer aber einmal in der Beratung sitzt, zieht das dann auch durch, bis die Steuererklärung fertig ist. Für uns besteht übrigens Schweigepflicht, denn es wird immer mehr erzählt, als die nackten Zahlen sagen.

INTERVIEW: Claudia von Zglinicki

"Ich habe mich inzwischen auf Sprechstunden in Betrieben spezialisiert,dann können die Leute in ihrer Pause zu uns kommen"