Ausgabe 06/2010-07
Operieren im Regen
Ohne Investitionen platzen schon mal vier Rohre in einer Nacht
VON Uta von Schrenk
BERLIN | Wer Patient der Charité ist, kann den Verfall der berühmten Berliner Klinik persönlich in Augenschein nehmen. Hier tropft es in den OP, dort fehlen moderne Geräte. Hier platzen mal eben vier Heizungsrohre in einer Nacht, dort halten Innendachrinnen Regenwasser von medizinischen Geräten fern.
An den hauptstadteigenen Kliniken lässt sich derzeit sehr gut beobachten, was passiert, wenn ein Bundesland seinen gesetzlich vorgeschriebenen Investitionsverpflichtungen nicht nachkommt: Die Substanz eines Krankenhauses wird mit der Zeit so marode, dass es sich nicht mehr wirtschaftlich führen lässt. Die Charité schreibt seit Jahren rote Zahlen, Vivantes wurde 2003 vom Senat entschuldet und ist nur deswegen seither im Plus.
Welches Bein muss ab?
Den Investitionsbedarf von Charité und Vivantes schätzt Finanzsenator Ulrich Nußbaum (parteilos) derzeit auf 1,6 Milliarden Euro. "Die scheinbar großen Summen an Investitionsmitteln für Vivantes und Charité sind in Wahrheit noch nicht einmal die Hälfte von dem, was beide Kliniken brauchen, um all das instand zu halten, was über die letzten Jahrzehnte bewusst unterfinanziert wurde", sagt die Personalrätin im Gesamtpersonalrat der Charité, Kati Ziemer. "Die Berliner Landesregierung erwartet wohl, dass Charité und Vivantes nun selbst entscheiden, welchen Arm, welches Bein sie sich selbst amputieren sollen. Das ist keine Politik der öffentlichen Daseinsvorsorge für die angebliche Gesundheitsstadt Berlin, sondern ein Armutszeugnis."
Anfang Juni hat sich der Senat nun erst einmal darauf geeinigt, die Charité mit 330 Millionen Euro zu versehen - für die Reparatur des Bettenhochhauses in Mitte. Im Gegenzug muss die Charité dafür 500 Betten abbauen. Was mit den einzelnen Standorten passieren soll, wird erst Ende 2012, nach der Wahl zum Abgeordnetenhaus, entschieden. Inzwischen war gar die Rede vom Aus für den Standort Benjamin Franklin oder das Auguste-Viktoria-Krankenhaus - beide im Südwesten der Stadt gelegen. Nun ist die Schließung der Standorte "wenigstens erst einmal vom Tisch", sagt Gewerkschaftssekretär Stefan Thyroke, bei ver.di-Berlin für Krankenhäuser zuständig.
Als Folge der homöopathisch dosierten Investitionspolitik des Landes droht jedoch langfristig der Verkauf von Klinikstandorten an private Investoren, also die Überlassung öffentlicher Daseinsvorsorge an Konzerne mit Gewinninteressen - wie es in der gesamten Republik zu beobachten ist. "Die Gefahr der Privatisierung ist grundsätzlich da, private Konzerne wie Helios oder Sana haben das Geld für Klinik-aufkäufe auf dem Konto und warten nur auf eine passende Gelegenheit", sagt Thyroke.
Die Investitionspolitik des Senats stößt bei ver.di aber auch aus anderen Gründen auf scharfe Kritik: Um sich aus ihrer Zwangslage zu befreien, sind die meisten Klinik-Leitungen in Berlin nämlich dazu übergegangen, Geld im Personalkostenetat einzusparen und in die Substanz ihrer Häuser zu stecken. "Die Verführung ist groß, schließlich macht der Personalkostenanteil in einer Klinik 60 bis 70 Prozent des Etats aus", sagt ver.di-Sekretär Thyroke. So steuern die Beschäftigten bei Vivantes durch Verzicht auf Lohnsteigerungen seit 2004 jährlich 34 Millionen Euro zur Sanierung ihres eigenen Arbeitsplatzes bei. Aus Sicht von Thyroke ein Unding. "Die Charité hinkt bei den Löhnen um 11,4 Prozent der bundesweiten Tarif-Entwicklung hinterher", sagt Personalrätin Ziemer.
Berlin ist Schlusslicht
Zwar versichert der Regierende Bürgermeister von Berlin, Klaus Wowereit (SPD), regelmäßig, dass mehr nun einmal nicht drin sei für die Kliniken, doch Thyroke lässt dies nicht gelten. "Im Sozialbereich leistet man sich die Verschwendung von 100 Millionen Euro jedes Jahr - und im Krankenhausbereich müssen die Mitarbeiter nun schon Geld mit zur Arbeit bringen." Worauf der Gewerkschafter anspielt: Im Berliner Sozialwesen findet nur eine unzureichende Kontrolle der Steuergelder statt. Und da wird dann schon mal ein Maserati oder ein Grundstück erworben, um gegenüber dem Fiskus einen hohen Finanzbedarf zu suggerieren. Aber warum besteuert das Land nicht auch Eigentum und Vermögen, um seinen finanziellen Engpass zu überwinden, fragt Thyroke. "Berlin ist bundesweit betrachtet Schlusslicht bei den Krankenhausinvestitionen."