Bunt statt braun - Protest im August am Vorabend eines Aufmarschs von Neonazis im niedersächsischen Bad Nenndorf

Von Daniela Fritsche

Der Campus ist verwaist. Nur zwei handgemalte Plakate weisen den Weg zum Manometer der Universität Kassel. An dem Druckmessgerät trifft sich am ersten Oktoberwochenende eine besondere "Familie". Es ist eine Begegnung aktiver Antifaschisten, um tragfähige Strukturen für künftige Auseinandersetzungen mit Rechtsradikalen aufzubauen: das erste Antifaschistische Familientreffen.

Der Manometer auf dem Uni-Gelände sei nicht zufällig gewählt worden, sagt Mitveranstalter Siegfried Burschel von der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Ziel sei doch, messbaren Gegendruck zu erzeugen. Dabei hat niemand Berührungsängste gegenüber anderen Teilnehmern. Zu den Unterstützern der dreitägigen Veranstaltung gehört der Solifonds der Bundestagsabgeordneten der Partei Die Linke genauso wie der Bundesvorstand des DGB oder a.i.d.a., die Antifaschistische Informations-, Dokumentations- und Archivstelle München e.V., und der Zentrale Arbeitskreis "Offensiv gegen Rassismus und Rechtsextremismus" von ver.di, kurz ZAKO. Es geht um Kontakte zwischen der Autonomen Antifa, den Beratungsstellen gegen Rechts und den anderen Organisationen, denen Fremdenhass und Rechtsextremismus nicht egal sein dürfen. Wie auch den Gewerkschaften.

Zu viele Erfahrungen und zu viel Wissen gingen im täglichen Geschäft verloren, meinten die Teilnehmer/innen des Treffens. Daher brauchen sie den Austausch. Fast paritätisch sind rund 120 Frauen und Männer aus der ganzen Bundesrepublik nach Kassel gekommen. Sie sind sich darin einig, dass die neoliberale Bundesregierung aus CDU/CSU und FDP mit ihren Sparplänen dafür sorgt, dass immer mehr Menschen aus Panik vor dem Verlust ihres Status nationalistische Ansichten akzeptieren, die bis vor kurzem für sie noch undenkbar gewesen wären.

Ein Erfolg vor Gericht

Mittagszeit am Samstag. Auf der Treppe aus roten Backsteinen haben sich kleine Grüppchen gebildet. Man redet. Über Nationale Sozialisten, die sich wie Wölfe im Schafspelz in soziale oder bürgerrechtliche Initiativen einschleichen. Über den scheinbar aussichtslosen Kampf gegen die Braunen auf sozialen Internet-Plattformen, über den Versuch des Bayerischen Verfassungsschutzes, a.i.d.a. als linksextremistische Gruppe zu diffamieren, was misslang: Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat für das Antifaschistische Archiv entschieden; entsprechende Einträge im bayerischen Verfassungsschutzbericht 2008 müssen gestrichen werden.

Der Kampf gegen Rechts ist schwieriger geworden - nicht nur, weil die "Neue Rechte" selten an äußeren Merkmalen wie Springerstiefeln erkannt werden kann, sondern auch, weil der Staat neue Anforderungen stellt und damit die Finanzierung der Arbeit gegen Neonazis erschwert: Um öffentliche Mittel zu erhalten, müssen Beratungsstellen darauf achten, nicht mit "linksextremistischen" Gruppen zusammenzuarbeiten, die in den Verfassungsschutzberichten der Bundesländer genannt werden. Wenn Antifaschisten als so genannte Linksextreme kriminalisiert und ihre Handlungsmöglichkeiten dadurch eingeschränkt werden, erweitere das die Handlungsspielräume der Neonazis, stellten Teilnehmer fest.

Workshop mit ver.di

Die Antifa braucht also starke Partner, um weiter gegen Rassenhass, Antisemitismus und Ausgrenzung unterwegs zu sein. Deshalb steht am Nachmittag einer der Workshops des Treffens unter dem Thema "Antifaschistische Perspektiven gewerkschaftlicher Arbeit in der Öffentlichkeit und in Betrieben". Dabei sind: Uwe Wötzel, der den ver.di-Arbeitskreis ZAKO vertritt, Peter Schrott als ehrenamtlicher Vertreter des ver.di-Bezirks Berlin, und Christopher Vogel, ein Mitarbeiter des Mobilen Beratungsteams gegen Rechtsextremismus und Rassismus in Hessen, ver.dianer und fast zehn Jahre lang für gewerkschaftliche Bildungsarbeit in Kassel zuständig.

Vogel erzählt von seiner Arbeit im Beratungsteam und seinen Erfahrungen in der ver.di-Bildungsarbeit. Er und seine beiden Mitstreiter haben vor sieben Jahren das Team gegründet, sie beraten Schulen, Kommunen, Eltern und Lehrer, wenn braune Horden in Jugendzentren auftauchen oder auf dem Schulhof plötzlich CDs mit rechter Musik verschenkt werden. Aus seiner Gewerkschaftszeit erinnert er sich an Leute, die fremdenfeindliche Meinungen vertreten haben. Uwe Wötzel untermauert diese Feststellung mit Ergebnissen aus der Studie Gewerkschaften und Rechtsextremismus, die ergab, dass die Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft nicht automatisch vor Rechtsextremismus schützt. Ein Grund dafür sei bei den Älteren die Angst vor sozialem Abstieg. Jüngere seien oft übermotiviert, streben mit neoliberalen Werten nach Erfolg, nach dem Motto: "Wer es nicht schafft, ist selbst schuld."

"Wir müssen mehr Mitglieder aktivieren", sagt Uwe Wötzel im Workshop. Die Studie habe auch ergeben, dass aktive Mitglieder seltener zu rechtsextremen Meinungen neigen als passive: "Durch die Stellvertreterpolitik, die nichts anderes meint als‚ Die da oben machen es schon', sind viele Mitglieder passiv, manche bezahlen nicht einmal den satzungsgemäßen Beitrag." Gerade Kampagnen zu Leiharbeit und Mindestlohn seien wichtig, um Elemente des solidarischen Handelns zu stärken.

Das ist dem Vertreter einer autonomen Antifa-Gruppe zu wenig. Er arbeitet im öffentlichen Dienst und ist "immer wieder erschreckt" über die rechten Sprüche, die trotz des hohen Organisationsgrads dort zu hören seien. Er habe den Eindruck, seine Kollegen seien Mitglied einer Art Versicherung geworden. Im Übrigen wünsche er sich einen DGB, der offensiver auftritt. Als Beispiel nennt er den Nazi-Aufmarsch in Bad Nenndorf im August, als die vom DGB organisierte Gegendemonstration erst kurz vor Beginn vom Oberlandesgericht Lüneburg erlaubt worden war. "Wäre das Bündnis zwischen DGB und Antifa eine verlässliche Größe, würde das unsere Arbeit erleichtern", sagt er.

Der DGB mache viel, wirft Christopher Vogel ein. So unterstütze er das Mobile Beraterteam gegen Rechtsextremismus, zu dem Christoph gehört. Man müsse mehr Menschen zum Mitmachen bewegen: "Gewerkschaften müssen zeigen, dass das gemeinsame Engagement aller Mitglieder etwas bewirken kann."

Ein Thema für alle

Und dann fällt das Wort, das sich an diesem Tag noch oft wiederholt: "Antifa ist eine Querschnittsaufgabe", sagt der Berliner Peter Schrott. Das Auftreten gegen Rechtsradikalismus müsse sich durch alle Bereiche ziehen, auch in der Gewerkschaft. Uwe Wötzel wünscht sich im Gegenzug, "die autonomen Antifaschisten wären Gewerkschafter. Denn nicht nur auf den Service einer Gewerkschaft kommt es an, sondern darauf, sich politisch gegen Rechts zu engagieren". Auf dem Treffen wird deutlich: Die kleinen Gruppen sind angewiesen auf die Vernetzung mit großen Organisationen. Die haben die Mittel, Demonstrationen gerichtlich durchzusetzen - und genügend Mitglieder, um gehört zu werden. Gemeinsam mit ihnen kann man auch die Erfahrungen Einzelner mit extrem Rechten nutzen. Dazu müsse man auch den letzten Ortsverband zum Mitmachen bewegen, sagt Peter Schrott. "Und wir dürfen keine Hemmungen haben, wenn es um Bündnispartner geht."

Im Netz

www.zako.verdi.de

www.netz-gegen-nazis.de Website der Amadeu-Antonio-Stiftung

www.aida-archiv.de Die Antifaschistische Informations-, Dokumentations- und Archivstelle München e. V. (a.i.d.a.) sammelt Material über Nationalismus und Rassismus. a.i.d.a. darf vom Verfassungsschutz nicht mehr als linksextremistisch bezeichnet werden. Aus der Urteilsbegründung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (Az. 10 CE 10.1830): "Der Bericht enthält über den Antragsteller ein auch nicht ansatzweise durch tatsächliche Anhaltspunkte nachvollziehbar belegtes Negativurteil."

www.avanti-projekt.de Die Organsiation AVANTI befasst sich u.a. mit Antifaschismus, Antirassismus, sozialen Kämpfen, Geschlechterverhältnissen und Bildungspolitik.

www.vvn-bda.de Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA)

www.mut-gegen-rechte-gewalt.de/service/links-gegen-rechts/links-mobile-beratung Die Auflistung aller mobilen Beratungsteams, die zurzeit in Deutschland aktiv sind

www.agrexive.de/cms/upload/pdf/Gewerkschaften_Rechtsextremismus.pdf Hier steht eine Zusammenfassung der Studie von Zeuner, Gester, Fichter, Kreis und Stöss: Gewerkschaften und Rechts- extremismus, 2007, Verlag Westfälisches Dampfboot, 14,90 €