Ausgabe 10/2010
Wie kommen wir die Treppen rauf?
Der Wohnungsmarkt hat sich auf die Bedürfnisse betagter Mieter noch lange nicht eingestellt
Gut, dass der Enkel zur Hand ist. Denn für den Immobilienmarkt ist diese Frau noch nicht interessant
von Thomas Winkler
Man hat davon gehört, sicherlich. Der Opa ist es immer schon gewesen. Die Eltern seit neuestem. Die Frau von nebenan ist es sowieso, denn deren Fernseher dröhnt durch die Wände, weil sie kein Hörgerät tragen will. Sie alle sind: alt. Aber zum Glück, sagt Frank Scholtysek, und das meint er ironisch: "Alt werden immer nur die anderen." Von denen aber, das ist die schlechte Nachricht, immer mehr. Scholtysek ist verantwortlich für die Webseite Wohnforum Plus, ein Infoportal für alle Fragen zum Thema "Wohnen im Alter", und hat festgestellt: "Altwerden ist immer noch ein Stigma. Es müsste mehr sensibilisiert werden, damit sich die Betroffenen überhaupt mal Gedanken machen."
99 Prozent ungeeignet
Er versucht zu sensibilisieren. Wohnforum Plus gibt ganz praktische Tipps: Paternosterschränke in der Küche erleichtern die Vorratshaltung, und einen Treppenlift finanziert womöglich die Krankenversicherung. Aber das Webportal versucht auch die Menschen, die älter werden, zusammen zu bringen mit denen, die ihnen das angenehmer gestalten könnten. Das können Handwerker sein, die Wohnung oder Haus umbauen, aber auch Vermieter, die eine barrierefreie Wohnung anbieten.
Davon allerdings gibt es viel zu wenig: In den nächsten Jahren, schätzt Scholtysek, wird die Nachfrage auf zwei Millionen barrierefreie oder -arme Wohneinheiten steigen, "aber nur ungefähr 200000 werden existieren". Momentan sind 99 Prozent aller Wohnungen, so die Zeitschrift Finanztest, "nicht dazu geeignet, um im Alter darin zu leben".
Das hat viele Gründe. Zum einen wird momentan, weil der Markt weitgehend gesättigt ist, sowieso wenig Wohnraum gebaut in Deutschland. Zudem hat die Bundesregierung zwar vor zwei Jahren für jene, die ihr eigenes Haus entsprechend renovieren wollen, das Programm "Altengerecht umbauen" aufgelegt. Die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) stellt nun zinsgünstige Kredite zur Verfügung und in geringem Maße auch Zuschüsse, aber um der drohenden Nachfrage Herr zu werden, "reicht die Förderung sicher nicht aus", meint Finanztest-Redakteurin Alrun Jappe.
Wer nicht selbst bauen kann oder will, sei darauf angewiesen, Wohnraum zu mieten oder zu kaufen, in dem er oder sie im Alter komfortabel wohnen könne. Aber für Investoren sind "die rechtlichen Richtlinien oft kontraproduktiv", sagt Wirtschaftsingenieur Scholtysek, der die Website als Hobby neben seinem Beruf als Immobiliengutachter betreibt.
Lange selbstbestimmt leben
Denn die Gesetze sind nicht nur kompliziert. Sie sorgen vor allem auch dafür, so Scholtysek, dass die Objekte von Investoren, die alternsgerecht bauen wollen, schnell als Pflegeheim oder Altenresidenz eingestuft werden. Damit geht den Anbietern aber dann genau jene zusehends wachsende Kundenklientel verloren, die möglichst lange völlig selbstbestimmt wohnen will.
Auf diese neue Kundschaft hat Immobilien Scout 24 schon vor Jahren reagiert. Als einzige der großen Immobilien-Suchmaschinen im Internet bietet sie bereits auf der Startseite den Link "Senioren" für die noch rüstigen Wohnungssuchenden. Etwa 150000 Menschen monatlich nutzen nach Angaben von Immobilien Scout 24 das Angebot, in dem Interessenten speziell nach barrierefreien oder seniorengerechten Wohnungen, nach Plätzen in Mehrgenerationenhäusern oder Alten-WGs suchen können.
Die Nachfrage ist groß
Der weitaus größte Teil der Angebote kommt aber weiterhin von Pflegeheimen oder aus dem betreuten Wohnen. Solche Angebote kommen jedoch für den rüstigen Aktiv-Rentner, wie er von der Werbung propagiert wird, nicht in Frage. Es entstehen zwar, vor allem in den Städten und Ballungsgebieten, immer mehr Möglichkeiten, das Privatvermögen zu investieren in eine komfortable Ruhestandsresidenz mit Aufzug, Tiefgarage und kurzen Wegen zu Kultureinrichtungen und Einkaufsmöglichkeiten. Für die Wirtschaftswundergewinner und ihre Erben - für die steht ausreichend edler Wohnraum zur Verfügung. Doch wer das nötige Kleingeld nicht hat, aber trotzdem raus muss aus seiner Altbauwohnung im vierten Stock, der ist für den Immobilien- und Mietmarkt noch nicht interessant genug. "Der Wohnungsmarkt ist nur sehr bedingt auf das Thema eingestellt", sagt denn auch Ulrich Ropertz, der Pressesprecher des Deutschen Mieterbundes, "es gibt eine große Nachfrage nach diesen Produkten". Und die wird, auch wenn das viele Betroffene nicht wahrhaben wollen, in den nächsten Jahren immer größer werden. "Weitblick", hat auch Ropertz registriert, "ist eine nicht sonderlich weit verbreitete Gabe". Alt werden eben immer nur die anderen. Aber auch die müssen halt irgendwo wohnen.