Ausgabe 10/2010
Zusammen ist man weniger allein
Barrierefreies Wohnen, schöne Architektur und günstig finanziert: Die Genossenschaftler haben genau geplant
Von Helma Nehrlich
Am Wochenende besucht Toni Nissen die Baustelle. Im Bad Kreuznacher Musikerviertel, dort wo früher "Housings" die US-Militärs beherbergten, entsteht eine Wohnanlage mit zehn barrierefreien Einheiten. Die Wände der 110-Quadratmeter-Wohung im Erdgeschoss stehen längst; im nächsten Juni will der 52-jährige ver.dianer mit seiner Frau Ulla einziehen. Ende Oktober soll Richtfest gefeiert werden. Auf der Internetseite des Projekts wohnart-kreuznach.de kann man alles mitverfolgen - dank der Bilder des ehemaligen Pressefotografen, der seit neun Jahren als IT-Administrator in der hessischen Landesverwaltung arbeitet. Insgesamt 14 überzeugte Mitstreiter bauen hier gemeinsam an ihrer Zunkunft: 49 Jahre alt ist die Jüngste, 71 der Älteste.
Jetzt kümmern wir uns selbst
Zusammen leben zu können, steht für Heinz Zingen, 63, und seine Frau Marika beim generationenübergreifenden Wohnen im Vordergrund. Eva-Maria Knauthe, 69, betont neben der ressourcenschonenden Bauweise unter Nutzung von Erdwärme vor allem, "dass ich nicht alleine bin". Die Idee zu diesem bezahlbaren Wohnsitz mit sozialer Mischung, gemeinschaftlich und selbstbestimmt, entstand, als sich einige engagierte Frauen der Initiative Lokale Agenda 21 in Bad Kreuznach Gedanken über innovative Wohnprojekte in der Kurstadt machten. Ulla Nissen war als Stadtplanerin dabei. Das war im November 2003. Ihr war schnell klar, dass der Generationenvertrag, der hier eingegangen werden soll, nicht umsonst zu haben ist, "dass ich erst etwas geben muss, bevor ich etwas nehmen kann", so die 54-Jährige.
Anfangs hatten die Aktivisten versucht, eine der Kreuznacher Wohnungsbaugesellschaften als Träger für ihr Projekt zu gewinnen. Doch es blieb beim Alleingang: Eine Initiativgruppe wurde gebildet, Werbung betrieben, Kennenlerntreffen wurden veranstaltet. Dann wurde ein Konzept erarbeitet, eine Rechtsform gesucht, ein Architekt beauftragt, ein Grundstück gekauft und man wälzte Baupläne. Immerhin hatten sich die Kreuznacher vernetzt und schon während der Planung ähnliche Wohnprojekte in Darmstadt und Mainz besucht. Der lange Vorlauf jedoch wurde zur Geduldsprobe. "Wir gründen eine Genossenschaft!", war man sich im Juli 2007 einig. Seit 2009 gibt es sie nun, die WohnArt eG. "Alles läuft mit mehr Schwung", erzählt Ulla, die dem Vorstand angehört. Sie ist überzeugt von dieser "sichersten Gesellschaftsform" (siehe Kasten). Die Mitglieder haben ein Dauernutzungsrecht an ihrer Wohnung, ein genossenschaftlicher Prüfverband sichert externe Bilanzprüfungen.
Alles meins gibt's hier nicht
Als besonders wichtig erwies sich der Beschluss, das Projekt in zwei Bauabschnitte zu teilen. Im Juni 2010, ein Jahr nach der Genossenschafts-Gründung, wurde der erste Spatenstich gemacht. In einem zweiten Abschnitt können noch weitere Bewohner hinzukommen, ohne das Rad ganz neu erfinden zu müssen. Denn es erwies sich als schwierig, jüngere Leute und Familien mit Kindern für WohnArt zu gewinnen. "Das liegt nicht am Konzept", weiß Toni, der Werbetouren auch durch Kindertagesstätten unternommen hat. "Junge Familien suchen für sich und ihre Kinder eine schnelle Lösung, sie haben nicht den Atem, womöglich Jahre zu warten." Bei mancher alleinerziehenden Mutter ist der Traum an der Finanzierung gescheitert. Bei anderen waren Kinder, Neffen oder Enkel die Bedenkenträger: "Es ist eben nicht wie bei einem eigenen Haus. Unsere Mitglieder erwerben Anteile, die werden auch vererbt, aber niemand kann sagen: Das alles hier gehört mir", sagt Toni Nissen.
Ohne Eigenkapital geht nichts: 1000 Euro pro Quadratmeter Wohnfläche sind als Einlage in die Genossenschaft zu zahlen, die Baukosten wurden mit 2000 Euro pro Quadratmeter hart kalkuliert und sind zur Hälfte kreditfinanziert. Das Wohngeld, das für künftige WohnArt-Genossenschafter monatlich anfällt, beträgt 4,65 Euro pro Quadratmeter. Alles ist so berechnet und konzipiert, dass Förderkriterien eingehalten sind und Zuschüsse vom Land Rheinland-Pfalz in Anspruch genommen werden können. Das betrifft etwa den Energiesparstandard und ökologische Vorgaben.
"Angenehme Wohnatmosphäre, schöne Architektur, günstige Finanzierung", machen für den 66-jährigen Rudi Herrmann und seine Frau die Attraktivität des Projektes aus. Bei der Planung mussten freilich immer wieder Wünsche und Zwänge in Einklang gebracht, Kompromisse gefunden werden. Nicht jeder kann in den begehrteren Obergeschossen wohnen, dafür lassen sich die Einheiten mit 55 bis 114 Quadratmetern sehr flexibel gestalten. Ulla und Toni Nissen haben in ihrem künftigen Reich quasi alles doppelt: Zwei Eingänge, zwei Terrassen und zwei Bäder. Wenn mal einer allein bleibt, ließe sich alles praktisch halbieren. Die geplante WohnArt-Gemeinschaftswohnung, die auch für Gäste zur Verfügung stehen sollte, ist im Laufe der Debatten allerdings auf einen Gemeinschaftsraum geschrumpft. Dort sollen ab nächsten Sommer Treffen und Kurse veranstaltet werden. Ein PC wird für alle zur Nutzung bereit stehen, wie im Innenhof ein Gartenfreisitz mit Grill. Bis dahin könnte Toni Nissen noch mehr als vierzigmal den Baufortschritt fotografieren. Er stammt übrigens aus einer Großfamilie. Von WohnArt erhofft er sich "deren Vorteile - ohne die Nachteile".
Wieso Genossenschaft?
Die eingetragene Genossenschaft (eG) ist aufgrund ihrer demokratischen Struktur eine günstige Rechtsform für kleinere Kooperationen und solidarische Selbsthilfe. Die Personenvereinigungen sind nach dem Genossenschaftsgesetz sowie dem von den Mitgliedern verabschiedeten Geschäftskonzept und der Satzung allein der Förderung ihrer Mitglieder verpflichtet. In der Regel gilt: ein Mitglied - eine Stimme. Beschlussgebendes Gremium ist die Mitgliederversammlung. Ein Prüfverband, in dem jede Genossenschaft Pflichtmitglied ist, sichert umfassende Prüfung und Beratung sowie regelmäßige Kontrolle der Geschäftsführung. Eine Mindestkapitaleinlage ist nicht vorgeschrieben, die eG haftet in Höhe ihres Vermögens. Ausscheidende Genossenschafter haben Anspruch auf Auszahlung ihrer Guthaben. Hier erfährt man mehr über die Planung gemeinschaftlicher Wohnprojekte: