Ausgabe 11/2010
Wenn das Arbeitsklima krank macht
Die unhaltbaren Zustände in der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg e.V. (VZ) veranlassen ver.di jetzt dazu, die Entlassung des dortigen Vorstands voranzutreiben. Seit Jahren beklagen die rund 100 Beschäftigten den miesen Umgang und die schlechte Stimmung im hiesigen Landesverband der Verbraucherschützer. "Im Prinzip beschäftigt man sich dort seit Wochen nur noch mit sich selbst", so ver.di-Geschäftsführer Bernd Riexinger, der betont, dass ver.di zu den Unterstützern eines starken Verbraucherschutzes zählt.
Sechsmal korrigiert
Davon kann nach den ver.di vorliegenden Informationen in der Stuttgarter Verbraucherzentrale aber nicht die Rede sein: Angeblich um die Geschäftsabläufe zu optimieren, hat der Vorstand ganzen Abteilungen untersagt, eigenständig Anfragen zu bearbeiten und Briefe oder Mails zu versenden. Alles muss zunächst der Vorstandschefin vorgelegt und von ihr persönlich freigegeben werden. Es wurden Fälle bekannt, bei denen eine einzige mehrzeilige Antwortmail sechs Mal zur Überarbeitung zurückgegeben wurde. Am Ende hatte die Beantwortung dann über vier Wochen gedauert. ver.di liegen Beispiele solchen Mailverkehrs vor. Der anfragende Verbraucher hatte sich zwischenzeitlich längst anderweitig Rat geholt.
Die Medienpräsenz der Verbraucherschützer ist stark rückläufig, nachdem die Berater der Verbraucherzentrale Interviews und Fernsehauftritte nicht mehr selbst zusagen dürfen und in einzelnen Fällen sogar angehalten wurden, die Absage mit "persönlichen Gründen" zu erklären.
Der Betriebsrat, dessen Wiederwahl der Vorstand im Frühjahr noch zu verhindern versuchte, bemüht sich seit Monaten mit Gesprächen, Bitten und dem Vorschlag einer Mediation eine Änderung des Führungsstils herbeizuführen. Bislang jedoch vergeblich. Das gesetzlich vorgeschriebene Gespräch zwischen Betriebsrat und Vorstand kam erst nach rund einem halben Jahr zustande und auch erst nachdem ver.di den Verwaltungsrat eingeschaltet hatte. Dieser allerdings scheint seine Aufgaben damit erfüllt zu sehen. Die Forderung, den Vorstand abzulösen, lehnt der Verwaltungsrat ab.
Karussel der Abmahnungen
Die Unwilligkeit von Vorstand Beate Weiser, die Verbraucherzentrale verbraucherorientiert zu leiten, beeinträchtigt zunehmend die Arbeit der Organisation. Mit der Bemerkung "Bisher gab es Zuckerbrot und Peitsche, jetzt nur noch die Peitsche!" hat Weiser ihren Führungsstil selbst charakterisiert. Sie erteilt immer wieder unklare oder sich widersprechende Arbeitsanweisungen, hält notwendige Informationen zurück und lässt Beschäftigte für den Papierkorb arbeiten. Bewusste Verunsicherung, aggressive Beschuldigung und das massenhafte Androhen und Aussprechen rechtlich kaum haltbarer Abmahnungen sind an der Tagesordnung. "Zehn Abmahnungen in sechs Wochen bei knapp 100 Beschäftigten, zeigen überdeutlich, dass da was nicht stimmt", meint ver.di-Geschäftsführer Bernd Riexinger.
Bei den Stuttgarter Verbraucherschützern herrscht ein Klima der Angst, das bei vielen Beschäftigten bereits zu gesundheitlichen Beschwerden bis hin zur Berufsunfähigkeit geführt hat. In deren Folge gab es in jüngster Zeit auch mehrere Kündigungen. Manche Beschäftigte haben sogar die Arbeitslosigkeit vorgezogen, um nicht weiter bei der Verbraucherzentrale arbeiten zu müssen.
Um dem täglichen Druck und den Schikanen aus dem Büro der Chefin etwas entgegen setzen zu können, sind in den letzten Wochen viele Beschäftigte der Verbraucherzentrale der Gewerkschaft beigetreten. Mitte Oktober gab es eine erste Mitgliederversammlung im Stuttgarter Gewerkschaftshaus, an der ein Großteil der VZ-Belegschaft teilgenommen hat.
Die Versammlung beschloss einstimmig, eine ver.di-Betriebsgruppe zu bilden. Ute Fleiner wurde zur Vorsitzenden des siebenköpfigen Vertrauensleute-Gremiums gewählt, Julia Nill zu ihrer Stellvertreterin. Bereits wenige Tage später erschien landesweit das erste Info-Blatt der neuen ver.di-Betriebsgruppe, welches viel Beachtung in der Belegschaft gefunden hat. "Viele wollten von uns wissen, was die Gewerkschaft macht. Ich habe denen nur gesagt: Werdet Mitglied, dann könnt Ihr selbst mitbestimmen, was ver.di macht!", erzählt Ute Fleiner. Ein guter Rat, dem in den letzten Tagen weitere VZ-Beschäftigte gefolgt sind.
Der Stuttgarter ver.di-Geschäftsführer Bernd Riexinger freut sich über den Mitgliederzuwachs, sieht die Entwicklung bei der Verbraucherzentrale aber mit Sorge: "Solche Zustände kennen wir eigentlich sonst nur von den Discountern. Der Verwaltungsrat muss nun endlich handeln und einen Vorstand einsetzen, der für ein solches Amt geeignet ist, um weiteren Schaden von der Verbraucherzentrale abzuwenden!"
Oliver Klug