Ausgabe 12/2010
Wer A sagt, muss nicht B sagen
Der Fachbereichsvorstand Medien, Kunst und Industrie diskutierte mit Reinhard Schütte, Fachanwalt für Arbeitsrecht, über die Existenz mehrerer Tarifverträge in einem Unternehmen
Bisher galt: nur ein Tarifvertrag pro Betrieb. Das haben Arbeitgeber zum Tarifdumping genutzt, indem sie mit den so genannten gelben Gewerkschaften wie dem CGB, der AUB & Co spezielle Billig-Tarife abschlossen. Nach neuer Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts kann es jetzt auch mehrere Tarife nebeneinander geben. Kein Tarif wird verdrängt, weil das nach Auffassung des BAG gegen das Grundrecht der Koalitionsfreiheit verstößt. Die Richter verließen damit eine Position, die die Rechtswissenschaft seit langem für verfassungswidrig hält.
Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) und die Bundvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) brachten nun deshalb eine gemeinsame Initiative auf den Weg, um die Tarifeinheit per Gesetz zu regeln. Danach soll künftig nur der Tarifvertrag der Gewerkschaft gelten, die die meisten Mitglieder im Betrieb vertritt.
Handwerkliche Mängel
Für die Geltungsdauer dieses Vertrags sollen auch die anderen Gewerkschaften an die Friedenspflicht gebunden sein. Arbeitsrechtler Reinhard Schütte, den der ver.di-Fachbereichsvorstand Medien, Kunst und Industrie zur Diskussion geladen hatte, bescheinigt dem gemeinsamen Entwurf von BDA und DGB zur Änderung des Tarifvertragsgesetzes schwere handwerkliche Mängel. Er sieht darin einen Eingriff in Koalitionsfreiheit und Streikrecht. Zu den ungeklärten Rechtsfragen gehört, so Schütte, dass die Tarifeinheit einzig für einen Betrieb gelten soll. Umstritten ist auch die Erfassung und Zuordnung der Gewerkschaftsmitglieder im Betrieb und die Ermittlung des Organisationsgrads.
Für die ver.di-Fachbereichsvorständler war im Anschluss der Diskussion klar, dass die Initiative von BDA und DGB einer vorhergehenden Debatte bedurft hätte. Tarifautonomie und Streikrecht würden in die Hände einer keineswegs arbeitnehmerfreundlichen Regierung gelegt. Die Koalitionsfreiheit drohe durch eine ausgedehnte Friedenspflicht ausgehebelt zu werden. Vor allem: Ein besserer ver.di-Tarifvertrag könne seine Geltung verlieren, wenn der Organisationsgrad niedriger sei als der einer konkurrierenden Organisation. Alfred Roth