Ute Klammer ist Prorektorin für Diversity Management an der Universität Duisburg-Essen

ver.di PUBLIK | Immer mehr Frauen werden zu Familienernährerinnen. Welche Gründe hat das?

UTE KLAMMER | Auf der einen Seite haben wir mehr Familienernährerinnen, weil Frauen heutzutage besser ausgebildet und in qualifizierter Erwerbstätigkeit sind. Dann gibt es Frauen, die unfreiwillig zur Familienernährerin werden, weil der Partner arbeitslos oder erwerbsunfähig wird oder unter Umständen auch in Rente geht. Und dann gibt es die wachsende Zahl an Frauen, die als Alleinerziehende Familienernährerin sind.

ver.di PUBLIK | Sind sie mit männlichen Familienernährern vergleichbar?

KLAMMER | Frauen haben es sehr viel schwerer, ihre Familie zu ernähren als Männer in der Ernährerposition. Viele Frauen, die in diese Position gekommen sind, haben nicht so hohe Einkommen. Hinzu kommen Rollenmuster. Wenn Frauen die Familienernährerposition haben, heißt das noch lange nicht, dass der männliche Partner - wenn sie denn einen haben - entsprechend Haus- und Familienarbeit übernimmt. Da ist die Männlichkeit verletzt. Die Männer sind aus ihrer beruflichen Orientierung herausgeworfen worden und übernehmen deswegen nicht unbedingt begeistert andere Aufgaben. Sie versuchen eher, wieder in den Arbeitsmarkt zu kommen.

ver.di PUBLIK | Ist die Gesellschaft überhaupt darauf eingestellt, dass immer mehr Frauen die Rolle der Familienernährerin übernehmen?

KLAMMER | Die Gesellschaft hat diesen Wandel, der zumindest einen Teil der Erwerbshaushalte betrifft, nicht richtig nachvollzogen. Die Rahmenbedingungen motivieren dazu, nach dem männlichen Ernährermodell zu leben. Frauen verlieren oft durch jahrelange Ausstiege aus der Erwerbsarbeit oder Teilzeitarbeit einen Teil ihrer Qualifikation. Sie sind mit niedrigeren Lohnniveaus konfrontiert.

ver.di PUBLIK | Wie kann man dem vorhandenen Lohnunterschied von 23 Prozent begegnen?

KLAMMER | Dem Entgeltunterschied muss man einerseits durch geschlechtergerechte Arbeitsplatzbewertung begegnen. Die Sozialpartner inklusive der Gewerkschaften müssen sich stärker um Lohnstrukturfragen kümmern. Und außerdem gibt es in Deutschland einen großen Niedriglohnsektor, gekoppelt mit Minijobs und kleineren Beschäftigungsverhältnissen. Da ziehen die Tarifverträge gar nicht mehr. Da muss man an die Allgemeinverbindlichkeitserklärung von Tarifverträgen heran. In anderen Ländern haben Mindestlöhne dazu geführt, dass der Lohnabstand ein Stückchen weit verringert werden konnte.

ver.di PUBLIK | Könnte eine Quote dabei helfen?

KLAMMER | In kaum einem Land gelingt es Frauen so wenig, in Führungspositionen zu kommen, wie in Deutschland. Wenn erstmal ein gewisser Mindestanteil von Frauen in Führungspositionen oder bestimmten Gremien angekommen ist, werden typisch weibliche Karrierewege, berufliche und private Entwicklungen vielleicht anders bewertet. Das wird sicher auch andere Frauen und zum Teil auch Familienernährerinnen begünstigen.

ver.di PUBLIK | Kann man die Arbeitswelt in schlecht bezahlte Frauenjobs und besser bezahlte Männerjobs mit Aufstiegschancen aufteilen?

KLAMMER | So ein Schwarz-Weiß-Bild ist auf keinen Fall mehr zutreffend. Wir sehen, dass sich die Gruppe der Familienernährerinnen ganz stark aufspaltet. Zum Teil kommen zum Niedriglohn auch fehlende Entwicklungschancen. Wir haben aber auch Muster gefunden, wo Frauen unfreiwillig in die Rolle der Familienernährerin gekommen sind und diese Situation zur beruflichen Entwicklung genutzt haben. Wir sehen auch Frauen auf dem Karriereweg, die zwar immer noch schwerer als Männer an die Spitze kommen, aber durchaus ihre berufliche Qualifikation gut verwerten können. Letzteres geschieht aber häufig unter Verzicht auf eine Familie, mit überlangen Arbeitszeiten oder einer Rund-um-die-Uhr-Verfügbarkeit.

Das Auftauchen der Familienernährerin ist häufig ein Ausdruck der verunsicherten Erwerbsbiografie von Männern. Es ist ja nicht mehr immer so, als hätten Männer nur gute Erwerbschancen.

ver.di PUBLIK | Im Gutachten zum ersten Gleichstellungsbericht der Bundesregierung schreibt die Sachverständigenkommission, deren Vorsitzende Sie sind, dass "eine konsistente Gleichstellungspolitik über den Lebensverlauf" notwendig ist. Sehen Sie dafür aktuell Bereitschaft in Politik und Gesellschaft?

KLAMMER | Wir hoffen, dass zumindest das Bewusstsein dafür geschaffen wird, wie widersprüchlich unsere Rollenleitbilder und ihr institutioneller Rahmen sind. Beide Partner starten mit gleichen Bedingungen, und nach einigen Jahren hat man eine ganz starke Retraditionalisierung. Sie ist ganz erheblich durch institutionelle Rahmenbedingungen wie Lohnfindung, Karriereentwicklung oder Kinderbetreuung geprägt.

Dann kommt ein Ereignis wie Scheidung, Arbeitslosigkeit oder Erwerbsunfähigkeit des Mannes. Plötzlich müssen nach dem Sozialgesetzbuch II alle Mitglieder einer Erwerbsgemeinschaft voll umfänglich dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen. Da sind die Qualifikationen der Frauen längst verloren gegangen. Frauen werden zu hoher Bildung ermutigt, aber dann wird alles getan, damit sie nicht am Arbeitsmarkt aktiv werden. Das ist nicht nur ein Problem der individuellen Gerechtigkeit, sondern ein gesellschaftliches Problem. Das können wir uns im Fachkräftemangel, im demografischen Wandel nicht mehr leisten. Es ist eine Frage der Innovationsfähigkeit der Gesellschaft, dass man dieses Problem angeht.

Interview: Heike Langenberg

"Wenn erstmal ein gewisser Mindestanteil von Frauen in Führungspositionen oder bestimmten Gremien angekommen ist, werden typisch weibliche Karrierewege, berufliche und private Entwicklungen vielleicht anders bewertet"