Ausgabe 05/2011
Das Haben bestimmt das Sein
Jürgen Baur vom Fachbereichsvorstand der Berliner Stadtreinigung, BSR, auf der 1.-Mai-Demonstration 2011 in Berlin
MINDESTLOHN | Laut der jüngsten Prognos-Studie könnten mit einem Mindeststundenlohn von 8,50 Euro die rund fünf Millionen Beschäftigten im Niedriglohnbereich ihren Lebenunterhalt selbst bestreiten
Eigentlich ist doch alles wunderbar im Land. Die Wirtschaft brummt, der Aufschwung schwingt immer noch ein bisschen höher und die Arbeitslosenzahlen sinken und sinken. Und auch für die Gewerkschaften läuft's doch so richtig rund. Die Mitglieder laufen nicht mehr in Scharen davon, dank des Aufschwungs können sie bessere Löhne durchsetzen, was wiederum die Mitgliedsbeiträge fließen lässt und die Streikkassen füllt. Ja, eigentlich leben wir doch nahezu schon wieder in spätrömischen Verhältnissen, müsste Guido Westerwelle, FDP, rufen. Das Füllhorn ergießt sich über uns alle. Nur die Gewerkschaften verderben allen den Spaß, weil sie immer noch einen gesetzlichen Mindestlohn wollen.
Gern vergessen die Schönfärber von Bundeskanzlerin Angela Merkel, CDU, bis zu Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt, worauf ihr Aufschwung tatsächlich fußt: Nach wie vor nämlich auf einem wachsenden Niedriglohnsektor, in dem Stundenlöhne unter fünf Euro nicht die Ausnahme sind. Auch die Leiharbeit greift mit inzwischen nahezu einer Million Kräften weiter um sich, weil sie immer noch billiger zu haben sind als Stammpersonal. Und weil insgesamt rund fünf Millionen Beschäftigte mit Stundenlöhnen unter 8,50 Euro zu einem Großteil ihr Haushaltseinkommen aufstocken müssen, greift der Staat dafür zu unseren Steuerngeldern. Dass auch deshalb viele Kommunen pleite sind - es ficht die Aufschwungprediger nicht an.
Gewinne dank Mindestlohn
Dabei könnte ein gesetzlicher Mindestlohn diese Probleme entschärfen. Die jüngste Studie des Prognos Instituts im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung kommt zu dem Schluss, dass ein gesetzlicher Mindestlohn in Höhe von 8,50 Euro dem Staat zusätzlich über sieben Milliarden Euro Steuereinnahmen bringen würde. Bei einem Stundenlohn von zwölf Euro läge der fiskalische Gewinn schon bei 24,4 Milliarden Euro.
Doch vor allem die Beschäftigten würden von einem gesetzlichen Mindestlohn profitieren. Bereits bei einer Höhe von 8,50 Euro würde das Erwerbseinkommen der besagten fünf Millionen um 14,5 Milliarden Euro steigen. Sie alle könnten sich den oft entwürdigenden Antrag auf Hartz IV sparen, müssten nicht mehr jeden Cent abwägen, bevor sie zur Butter im Kühlfach greifen. Im Gegenteil: Sie könnten einkaufen wie zum Glück viele andere auch. Könnten auch mal ins Kino oder mit ihren Kindern ein Eis essen gehen, wenn ihnen der Sinn danach steht, und nicht der Kontostand ausschlaggebend ist. Und ganz nebenbei würden so die Einnahmen des Staates aus indirekten Steuern um 700 Millionen Euro steigen.
Es könnte in Deutschland also tatsächlich alles noch wunderbarer sein, wenn alle am Aufschwung teilhaben dürften und nicht Millionen Niedriglöhner ihn ermöglichten. Und - auch das besagt die Studie - ein Mindestlohn würde keine Arbeitsplätze kosten, sondern könnte längerfristig zusätzliche schaffen.