Mehr Druck durch die Hartz-Gesetze

5,8 Millionen Menschen würden in Deutschland von einem gesetzlichen Mindestlohn in Höhe von 8,50 Euro profitieren. Laut einer Studie hat die Zahl der gering Bezahlten deutlich zugenommen

Armut wird nur durch einen gesetzlichen Mindestlohn eingedämmt

Seit Mitte der 1990er Jahre ist die Zahl der Niedriglohnbeschäftigten in Deutschland deutlich gestiegen. 2008 wurden rund 6,55 Millionen Beschäftigte mit Niedriglöhnen registriert, zehn Jahre zuvor waren es 2,3 Millionen weniger. Das ist Ergebnis einer Untersuchung des Instituts Arbeit und Qualifikation (IAQ) der Universität Duisburg-Essen. Zwar sei seit 2006 eine deutliche Zunahme der Quote nicht mehr erkennbar - das liege aber daran, dass die Beschäftigung insgesamt zugenommen habe. Insgesamt arbeiten rund 20 Prozent der abhängig Beschäftigten in Deutschland für einen Niedriglohn.

Im Rückblick von 1995 bis 2008 - die Zahlen für 2009 werden erst im Spätherbst 2010 erwartet - gibt es nach Aussagen von Claudia Weinkopf und Thorsten Kalina, die die Studie vorgelegt haben, jedoch einige Verschiebungen. Das Niedriglohnrisiko sei bei den unter 25-Jährigen, Ausländer/innen und befristet Beschäftigten besonders stark gestiegen. Hinzu komme, dass die Zahl der Minijobber/innen und der befristet Beschäftigten deutlich gewachsen sei.

Der Anteil der Niedriglohnbeschäftigten mit einer abgeschlossenen Berufsausbildung hat sich zwischen 1995 und 2008 um 8,5 Prozentpunkte auf insgesamt 71,9 Prozent erhöht. "Nimmt man die Beschäftigten mit einem akademischen Abschluss hinzu, sind mittlerweile vier von fünf Niedriglohnbeschäftigten in Deutschland formal qualifiziert - ein auch im internationalen Vergleich hoher Wert", heißt es dazu in einer vom IAQ vorgelegten Zusammenfassung der Studie.

Kaum Grenzen nach unten

In den USA hätten zum Bespiel 70 Prozent der Niedriglohnbeschäftigten keinen oder einen High-School-Abschluss, den Kalina und Weinkopf unterhalb einer abgeschlossenen Berufsausbildung in Deutschland ansiedeln. Für die hohe Quote an Qualifizierten in Deutschland sehen die beiden zwei Gründe: Zum einen sei die Gruppe der gering Qualifizierten in Deutschland durch das gut ausgebaute System der beruflichen Bildung relativ klein, zum anderen hätten die Hartz-Reformen den Druck erhöht, auch eine gering bezahlte Tätigkeit anzunehmen.

Als Niedriglohn definieren Kalina und Weinkopf eine Bezahlung, die zwei Drittel unter dem durchschnittlichen Stundenlohn liegt. Diese Berechnungen basieren auf den Löhnen und Gehältern aller abhängig Beschäftigten und beziehen auch sozialversicherungspflichtige Teilzeit und Minijobs ein. Damit kommen sie für Westdeutschland auf einen Grenzwert von 9,50 Euro und für Ostdeutschland von 6,87 Euro. "In Deutschland sind der Ausdifferenzierung der Löhne nach unten kaum Grenzen gesetzt, so dass die Lohnspreizung innerhalb des Niedriglohnsektors erheblich ist und im Zeitverlauf deutlich zugenommen hat", ist das Fazit der beiden Wissenschaftler. Deutlich über 40 Prozent der Betroffenen erhielten weniger als die Hälfte der Niedriglohngrenze, jeder Dritte von ihnen noch nicht einmal mehr ein Drittel. Damit franse das Lohnspektrum in Deutschland nach unten hin deutlich aus. Derart niedrige Löhne wurden in anderen Ländern durch einen gesetzlichen Mindestlohn verhindert. Daher halten Thorsten Kalina und Jutta Weinkopf seine Einführung in Deutschland für unverzichtbar.

Die Vorteile aus ihrer Sicht: Die Kaufkraft der unteren Einkommensschichten würde gestärkt, Lohnunterschiede wegen des Geschlechts verringert und Lohndumping verhindert. Gleichzeitig könne der Staat seine Einnahmen bei Steuern und Sozialabgaben erhöhen, und er müsse geringere Summen für aufstockende Leistungen zum Beispiel beim Arbeitslosengeld II aufbringen. Die Gewerkschaften fordern seit Langem einen gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 Euro pro Stunde, der dann schnell weiter erhöht werden soll. Schon von 8,50 Euro pro Stunde würden bundesweit rund 5,8 Millionen Menschen profitieren. hla