83 Redakteurinnen und Redakteuren droht die Kündigung

Von Renate Bastian

Schon seit etlichen Jahren steht der Tageszeitung das Wasser bis zum Hals - jetzt steht es Oberkante Unterlippe. Umwälzungen auf dem Medienmarkt, Verlust von Anzeigen und Abonnenten sowie unwirksame Konzepte - das alles hat die Frankfurter Rundschau an den Rand des Ruins gebracht. Jedes Mal, wenn sich die Verluste türmten, reichte die Phantasie der Verantwortlichen in erster Linie zu Personalabbau und Kürzung von sozialen Leistungen. Heute gibt es in der Druck- und Verlagsgesellschaft, die die FR herausgibt, nur noch 500 Beschäftigte gegenüber 1700 vor zehn Jahren. In einem Sanierungstarifvertrag verzichten alle Beschäftigten seit Jahren auf Urlaubsgeld und Jahressonderzahlung - ihr nicht gerade gering zu schätzender Beitrag in Höhe von mehreren Millionen zur Rettung des Traditionsunternehmens. Bedingung: keine Ausgliederungen und Erhalt der Tarifbindung.

Schmuckstück der Gewerkschaft

Wie muss ihnen da der Schreck in die Glieder gefahren sein, als sie am 1. April von neuerlichen einschneidenden Umstrukturierungen erfuhren. Der Arbeitgeber stellte Pläne vor, "die an Umfang und Heftigkeit unsere schlimmsten Befürchtungen noch übertroffen haben", so der Betriebsratsvorsitzende Marcel Bathis. "Der Schock musste erst verdaut werden. Aber dann hatten wir wenige Tage später die Kraft für zwei Warnstreiks." Vor allem für die Redaktion kommt es knüppeldick. Der sogenannte Mantel der Zeitung, also überregionale Themen, sollen aus der Berliner Zeitung (DuMont-Schauberg) geliefert werden. Etwa 83 Redakteurinnen und Redakteuren droht die Kündigung. Übrig blieben dann noch 41. Auch 28 Redakteure der Leiharbeitsfirma Pressedienst Frankfurt müssen bangen. Außenredaktionen stehen zur Schließung an. Bei FR-Publishing sollen fünf Stellen im Lay-Out-Bereich gestrichen werden. Perfide für Betriebsrat und ver.di ist zudem, dass zwei neue Gesellschaften geplant sind, bei denen sich bisherige Mitarbeiter/innen bewerben können, allerdings zu Konditionen unter Tarif - und das auch nur für einen Teil der Gefeuerten. "Das ist ein offener Bruch des Haustarifvertrags", empört sich Manfred Moos, der ver.di-Fachbereichsleiter. Und Marcel Bathis ergänzt: "Wir waren mal das Schmuckstück der Gewerkschaft. Linksliberale Ausrichtung der Zeitung und gewerkschaftliche Standards waren unser Markenzeichen. Sollen wir jetzt zu einer Variante von Schlecker verkommen?"

Ein Konzept muss her

Pikant an der Angelegenheit ist, dass neben dem Medienkonzern M. DuMont-Schauberg (50 Prozent) auch die SPD-Medienholding DDVG einen Anteil von 40 Prozent an der FR hält und offenbar den Plan, Tarife zu unterlaufen, mitträgt. Betriebsrat und Gewerkschaft bestreiten nicht, dass angesichts der Verluste dringend ein tragfähiges Konzept her muss, um die FR zu retten. Aber eben nicht durch Auslagerung, Entlassungen, Lohndumping und Aufgabe der Identität der Zeitung. Falls die Zahl der Beschäftigten verringert werden müsse, dann über Altersteilzeit, vernünftige Abfindung und Wahrung der Einheit des Betriebs. Andere Redaktionen aus dem Imperium von DuMont-Schauberg machen sich mittlerweile Gedanken über die Umgangsweise am Frankfurter Standort. Aus Berlin und aus Köln gibt es Solidaritätserklärungen. Auch dort weiß man, dass Redaktionen nicht bis aufs Skelett abgeschabt werden können, ohne dass die journalistische Qualität leidet und letztlich das gesamte Produkt. Aber vielleicht soll an der FR als einer besonders kranken Patientin ein Exempel statuiert werden. Bald könnte es dann auch andere treffen.

Schmerzhaft ist das Auswringen der Frankfurter Rundschau allemal. Sie war in Hessen die erste Zeitung, die nach dem Zweiten Weltkrieg von den Alliierten schon im Sommer 1945 eine Lizenz erhielt. Zu ihren Gründern zählten aus der Arbeiterbewegung drei Sozialdemokraten und drei Kommunisten - und ein Bürgerlicher, alle mit antifaschistischem Engagement. Und die Redaktion hat über fast sieben Jahrzehnte den Gründungsauftrag erfüllt: solider kritischer Journalismus. Verhandlungen mit der heutigen Geschäftsleitung haben bereits begonnen. Die eine oder andere wird aber wohl noch vonnöten sein.