Zehntausende protestieren im Juni vor dem griechischen Parlament

Von Heike Schrader

"Kommt doch und versucht, sie uns wegzunehmen", steht auf den gelben T-Shirts der Hafenarbeiter. Gemeinsam mit mehreren zehntausend Kollegen und Kolleginnen aller Branchen wehren sie sich auch an diesem 15. Juni beim dritten Generalstreik des Jahres gegen die geplanten Privatisierungen und neuerlichen Kürzungen bei Löhnen und Renten. Die Maßnahmen stehen im "Mittelfristigen Programm für eine finanzwissenschaftliche Strategie", das bis spätestens Mitte Juli im Parlament abgesegnet werden soll. Sonst, so haben die Gläubiger bei EU, Internationalem Währungsfonds und Europäischer Zentralbank gedroht, werde weder die fünfte Rate der bereits bewilligten Kredite ausgezahlt, noch könne das Land mit neuen Krediten rechnen.

Diese Kredite werden gebraucht, damit Griechenland zahlungsfähig bleibt und seine alten Schulden bei densel- ben Gläubigern begleichen kann. Die Griechen sind jedoch immer weniger bereit, für eine Krise zu bluten, die sie nicht verursacht haben. So wurde kurz vor Redaktionsschluss ein zweitägiger Generalstreik für den 28. und 29. Juni beschlossen, die Tage, an denen das Parlament über das "Mittelfristige Programm" abstimmen soll. Seit Monaten vergeht kein Tag, an dem nicht irgendwo im Land gestreikt wird. Besonders der geplante Ausverkauf aller staatlichen Unternehmen, darunter die von den Arbeitern verteidigten Häfen, stößt auf Widerstand. Die Gewerkschaften der noch staatlich kontrollierten Konzerne für Strom, Wasser, Telekommunikation und öffentlichen Nahverkehr werden zwar alle von der regierenden PASOK dominiert, aber auch hier läuft man gegen die Politik der eigenen Partei mittlerweile Sturm. Die Beschäftigten wehren sich gegen Verschlechterungen ihrer Arbeitsbedingungen und Entlassungen im Fall einer Privatisierung und gegen damit verbundene Preissteigerungen.

Noch tiefer in die Krise

Vorreiter ist dabei die Gewerkschaft GENOP-DEI, die seit dem 20. Juni mit einem Dauerstreik gegen die geplante Privatisierung des Stromkonzerns DEI Widerstand leistet. "Mit dem ersten Memorandum hat uns die Regierung vier Monatslöhne gestohlen und Zehntausende in die Arbeitslosigkeit geschickt", sagt der GENOP-DEI-Vorsitzende Nikos Fotopoulos. "Nun will sie noch zwei Löhne stehlen und weitere hunderttausend Menschen überflüssig machen."

Das vor über einem Jahr, im April 2010 gestartete Sparprogramm hat Griechenland nicht vor dem Konkurs gerettet, sondern tiefer in die Krise geritten. Von März 2010 bis März 2011 ist die Arbeitslosigkeit von 9,6 auf 16,2 Prozent gestiegen. Die Einnahmen aus den Steuererhöhungen bleiben weit hinter den erwarteten zurück und machten im Mai dieses Jahres bereits eine Lücke von 2,1 Milliarden Euro im Staatshaushalt auf. Nach wie vor schrumpft das Bruttoinlandsprodukt, weil die Sparmaßnahmen den Binnenmarkt zum Erliegen gebracht haben. Dagegen wachsen der organisierte Widerstand in den Gewerkschaften und der Unmut der Bevölkerung allgemein. Die hat sich nun ein Sprachrohr auf der Straße geschaffen. Nach dem spanischen Vorbild der "Indignados" versammeln sich seit dem 25. Mai auch in Griechenland allabendlich tausende "Empörte" auf der Straße. In Athen haben sich hunderte von ihnen sogar dauerhaft in Zelten auf dem Platz vor dem Parlament niedergelassen. In vielen Vierteln der großen Städte wurden bereits dezentrale wöchentliche Stadtteilversammlungen gegründet.

Die Empörten haben keine fertigen Rezepte, keine gemeinsame Strategie, sie eint die Ablehnung der von oben und außen beschlossenen Maßnahmen und die Forderung nach mehr direkter Demokratie. Parteien und auch den mit dem "System" verbundenen Gewerkschaftsführungen wird Misstrauen entgegengebracht. "Unten" dagegen arbeitet man zusammen. So hat die täglich stattfindende Vollversammlung der Empörten in Athen bereits Anfang Juni die Unterstützung aller Streikaktionen von Gewerkschaften beschlossen und ruft die Erwerbstätigen auf, sich für einen permanenten Generalstreik einzusetzen. Beim Generalstreik am 15. Juni wurde aus der Theorie dann Praxis, als die Demonstrationen der Gewerkschafter in der Hauptstadt sich mit ihren zehntausenden Beteiligten in die bereits vor dem Parlament versammelten zehntausenden Empörten einreihten, die seit dem Morgen das Gebäude ihrer "Volksvertreter" symbolisch umzingelt hatten.