Ausgabe 08/2011-09
Comic ist ein dummes Wort
Art Spiegelman: Im Schatten keiner Türme | "Ich werde als Vater der modernen Graphic Novel bezeichnet. Sollte das wahr sein, will ich einen Bluttest." So äußerte sich Art Spiegelman 2009 im Londoner Institut für zeitgenössische Künste. Der Begriff "Graphic Novel", welcher in den letzten Jahren vornehmlich in Deutschland für den Einzug von Comics in Buchhandlungen und Feuilletons sorgte, führt nach Spiegelmans Ansicht in die Irre. Ein dummes Wort sei "Comic" schon, aber das sei nun einmal, was sie sind. Außerdem ermöglichten Comics ihm eine Form direkter Kommunikation, wie absonderlich das Anliegen auch sein möge.
1992 erhielt der jüdische Autor und Zeichner den Pulitzer-Preis für sein Werk Maus, in dem er die Judenverfolgung unter den Nazis und deren Auswirkung auf seine Familienbiografie thematisierte. Entgegen Adornos Aussage über die Unmöglichkeit von Lyrik nach Auschwitz wusste Spiegelman ein derartig an die Grenzen künstlerischer Vermittlung stoßendes Thema überzeugend darzustellen. Als er dann 2001 von den Anschlägen auf das World Trade Center selbst betroffen wurde, versuchte sich der Künstler erneut an einer angemessenen Umsetzung.
Spiegelman, in Manhattan lebender Familienvater, schildert seine Traumatisierung durch den Terrorakt, dessen direkter Zeuge er wurde. Eine amerikanische Tradition zitierend, nutzt er Elemente aus den zu Beginn des 20. Jahrhunderts publizierten Zeitungscomics. Deren überdimensioniertes Seitenformat verwendet Spiegelman analog zur terroristisch durchaus beabsichtigten symbolischen Größe der Zerstörung. Stilistisch nachempfundene Werke aus dieser Ära, wie beispielsweise Little Nemo, finden Eingang in überbordende Seitenkompositionen, die stellvertretend für die von paranoiden Angstvorstellungen durchwirkten Gedankenströme Spiegelmans stehen. Damit die dem Zeitungscomic zugemessene Bedeutung auch nachvollzogen werden kann, folgt noch ein großzügig bebilderter Text. Er zeigt die Geschichte dieser Publikationsform am Beispiel klassischer Serien auf, deren Titel heutigen Lesern meist unbekannt sind.
So errichtet Spiegelman am Ground Zero seines Inneren den vor zehn Jahren umgekommenen Terroropfern wie auch der Wandlung von Comics zum modernen Massenmedium ein Denkmal. Der nach den Anschlägen um sich greifenden Paranoia stellt er medial gespiegelt seine Ängste gegenüber - wodurch er schließlich mittels Beelzebub den eigenen Teufel aus sich heraus treibt.Oliver Ristau
Graphic Novel, Atrium Verlag, 42 S., farbig, Hardcover, 25,3 x 36,7 cm, 34,90 €
Nina Power: Die eindimensionale Frau | Dieses Buch der englischen Philosophin Nina Power ist eine schonungslose Bestandsaufnahme dessen, was vom Feminismus im Zeitalter der Alibifrau noch übrig ist. Der flotte Schreibstil und der schräge Humor, über den die junge Autorin verfügt, machen die unbequemen Wahrheiten eingängig. Es sei unmöglich, "über die heutige Situation der Frauen zu sprechen, ohne dabei eine Diskussion über die Rolle der Arbeit zu führen". Wenn Spaß-Feministinnen das ignorierten, so sei das fatal. Power geht es vor allem um die Folgen der Feminisierung der Arbeit, die schon in der "Feminisierung der Arbeitssuche" beginnt. Wer ständig "ein lebender Lebenslauf" sein muss und immer für sich Werbung macht, dessen Körper wird "zum wichtigsten Ort", an dem sich begreifen lässt, "wie unser ganzes Verhalten der Logik der Beschäftigungsfähigkeit unterworfen ist", schreibt Power. - Das sollten Frauen nicht für Selbstoptimierung halten. Klix
Merve Verlag Berlin 2011, aus dem Englischen von Anna-Sophie Springer, 80 S., 8 €
Markus Werner: Die kalte Schulter | Kann ein Autor ein ganzes Buch hindurch von einem glücklichen Paar erzählen? Von einer tagtäglich gelebten Liebe? Ohne dabei in Kitsch oder Langeweile zu rutschen? Markus Werner kann. Der vielfach ausgezeichnete Schweizer Schriftsteller hat einen wundervollen Roman geschrieben über den Versuch, "aufrecht durch den Nebel zu gehen" und die Unzugänglichkeit der Realität jedes Mal aufs Neue hoffnungsvoll anzuzweifeln. Moritz Wank, der Maler, der nicht mehr malt, stellt alles in Frage - nur die Liebe zu Judith nicht. "Dieser Weg ist schön. Er schafft keine Niedertracht aus der Welt, aber er mildert die Verzweiflung darüber." Markus Werner schreibt traurige Bücher. Doch er tut dies auf eine so differenzierte, kluge und pointierte Weise, dass es ein Vergnügen - und ein großes Geschenk - ist, diesen Sprachkünstler dank der Neuauflage seiner sieben Romane im Fischer Taschenbuch Verlag (wieder) zu entdecken. Und die verregneten Sonntage verlieren so auch ihren Schrecken. hik
Fischer Taschenbuch Verlag 2011, 160 S., 8,99 €