Mohammed VI. strahlt in Agadir noch über allem, über den Drachenfliegern und den Spaziergängern bis hinauf ins bergige Hinterland

Arganöl tut sichtbar auch dem Ziegenhaupthaar gut

Von Ziegen verdaut, zu Öl verarbeitet: die Kerne der Arganfrucht

von Jenny Mansch

Sich von einem solchen Küstenstreifen loszureißen - dazu bedarf es echter Willenskraft. So weit das Auge reicht, zieht sich das breite Meeresufer aus feinstem Zuckersand. Palmen und 5-Kilometer-Promenade inbegriffen. Dass die Weltmeere an Plastiktüten zu ersticken drohen, davon ist hier, am Strand von Agadir, nichts zu bemerken. Nicht mal eine Getränkedose liegt in der Riesenbucht herum, es wird gesammelt und gefegt, was das Strandgut hergibt.

In erträglichem Maß machen die Urlauber Gebrauch vom Wassersportangebot. Ab und zu kreischt ein Jetski vorbei; der vom Besuch eines Hamams Tiefenentspannte winkt da nur müde ab. Die Segel der Drachenflieger und Windsurfer hingegen tupfen völlig geräuschlos ihre leuchtenden Farben auf den immer blauen Horizont. Yusuf ist einer, der den Strand offenbar schon sehr lange sauber hält. Er ist Spezialist für Fußabdrücke im feinen Sand und erfreut die Spaziergänger, indem er ihnen ihre Schuhgröße hinterherruft. Seine Schätzungen sind verblüffend genau. Wie sich herausstellt, ist Yusuf eigentlich Schuster von Beruf. Weil er davon nicht leben kann, räumt er im Zweitjob am Strand der südlichsten Stadt Marokkos den Touristen hinterher.

Die weiße Stadt

Von Agadir selbst, der "weißen Stadt am Meer", hat man sich schnell ein Bild gemacht. Strandpromenade, Fischereihafen, Stadtbummel. Von einem Erdbeben im Jahr 1960 vollkommen zerstört, blieben bis auf die Kasbah kaum historische Bauten erhalten. Spärlich ist daher die Museumsszene; Kunstgegenstände, Skulpturen, Artefakte - der größte Teil fiel dem 15-Sekunden-Beben zum Opfer. Der Museums-Führer Mohammed ist dennoch voll im Stress. Er führt die an der Berberkultur interessierten Besucher mit großer Leidenschaft durch das Städtische Museum in der Innenstadt. In rasendem Tempo erzählt er von den Fertigkeiten der weiblichen und sehr angesehenen Berber-Musikerinnen, von den Silberschmieden und warum die typische Dreieckform der meisten Schmuckstücke Berber und Tuaregs vor bösen Geistern beschützen sollte. Dann wartet schon die nächste Besuchergruppe, und Mohammed hetzt davon.

Also geht es raus ins Hinterland, durch das Tal der Ammeln hinein ins Anti-Atlas-Gebirge nach Tafraoute. Von Agadir aus fährt man mit dem Bus. Oder mit Bahir. Der Fahrer eines kleinen Transport-Unternehmens für Touristen war früher ebenfalls Schuhmacher, bis ihm die große Konkurrenz das Geschäft verdarb. Seither fährt der 57-jährige Vater zweier Kinder einen klimatisierten Kleinbus, "20 Jahre unfallfrei!" Bahir verdient 3500 Dirham, rund 300 Euro im Monat. Davon gehen schon 1500 Dirham für die hohen Mieten in Marokko ab. Rasant kurvt er die Straßen entlang bis ins Tal der Ammeln. Steil ragen schroffe Granitfelswände in die Höhe, fast unsichtbar schmiegen sich einzelne Nomadenwohnungen und Berberdörfer ans Gestein. Die Strecke ist atemberaubend: Auf den Feldern steht der Mohn, der Duft von Jasmin betört noch im Wageninneren. Erosionen haben die berühmten rosa Granitfelsformationen geschaffen, die den Weg begleiten und deren Erscheinungsbild je nach Tageszeit variiert. Der berühmteste Felsen heißt Amel, der Löwenberg, weil der Gipfel dem Kopf des Raubtiers ähnelt. Je nach Lichteinfall und Tageszeit könnte es aber auch ein Dackel sein.

Wie aus Zuckerguss

Um das zarte Rosé der Felsen nicht zu stören, hat sich das kleine Städtchen Tafraoute ganz in dieser Farbe herausgeputzt. Häuserwände sind mit bunten Wimpelketten untereinander verbunden. Ein Städtchen wie aus Zuckerguss. Ein Vater mit seinem Sohn posiert vor einem Riesenplakat am Ortseingang; Mohammed VI. lächelt darauf paus- bäckig in die Dürre des Tages hinein.

Auch sonst hat der Regent in Marokko gut lachen. Anfang Juli stimmten 98,5 Prozent der Bevölkerung seinen Verfassungsänderungen zu, mit denen er einem "arabischen Frühling" in seinem Land zuvorkommen wollte. Offiziell lag die Wahlbeteiligung bei 73,5 Prozent, obwohl einige Gewerkschaften, die "Bewegung 20. Februar", linke Parteien sowie die größte islamistische Organisation zum Boykott des Referendums aufgerufen hatten. Inoffiziell heißt es, die Wahlbeteiligung sei gefälscht. Viel ist durch die neue Verfassung für das Volk nicht gewonnen. Mohammed VI. hat nur ein Quäntchen seiner Macht abgegeben und auf die Parlamente verlegt, aber im Grunde hat er weiterhin das Sagen. Konkret erhofft hatten sich die Protestbewegungen handfeste Strategien zur Schaffung von Arbeitsplätzen, zur Verbesserung der Bildung und endlich ein Ende der Korruption, die jeden Fortschritt lähmt. Und doch - auf Nachfrage hält sich überall die Überzeugung: "Die Parlamentarier sind schuld. Unser König ist gut!"

Gut verdaut ist halb gemahlen

Auf dem Weg über Tiznit zurück nach Agadir fallen die kleinen Bäume zunächst gar nicht auf. Umringt von Wildblumen aller Art stehen sie gebückt an den Hängen. Erst als eine Herde schwarzer Ziegen beginnt, sehnsüchtig in die Baumkronen zu schielen, wird das Spektakel offenbar. Es handelt sich um Arganbäume, eine wahre Schokoladentafel für die dünnen Tiere. Aus dem Stand springen einige plötzlich hoch, die anderen folgen dem Beispiel. Rund 15 Ziegen landen schaukelnd und schwankend in der Krone eines Baumes und krallen sich mit ungeahnten Fähigkeiten an die Äste. Sie sind wild auf die Arganfrüchte, und die sind bei ihnen am besten aufgehoben. Nach dem Snack nämlich beginnt für die olivenförmigen Früchte der lange Marsch durch die Ins-titution Ziegendarm. Nur die von den Tieren glücklich ausgeschiedenen Kerne der Arganfrucht kommen für die Produktion des gefragten Arganöls in Frage. In den letzten Jahren hat es in internationaler Kosmetik und Kochkunst einen wahren Siegeszug angetreten.

Verarbeitet werden die Kerne in dieser Gegend von der Frauenkooperative Roudana Targanet in Tiznit gleich hinter dem quirligen Marktplatz. Hier kann man die vielen Arganöl-Produkte vergleichsweise preiswert und in reinster Form erstehen. Bekämpfung von Faltenwurf bis Tinnitus-Heilung - dem Öl werden vielfältige Kräfte zugesprochen. Der Erfolg gibt den Frauen Recht. Immerhin und trotz autokratischer Organisation der Koops - eine Frau wie Nadya verdient mit der Zubereitung des Öls zwischen 2500 und 3000 Dirham im Monat. Als Witwe ist das ihre einzige Möglichkeit, seriös Geld zu verdienen. Minutenlang kann sie allerdings auch die Probleme mit der Arbeit aufzählen: Durch das Drehen des schweren Mahlsteins in dienernder Haltung hat sie permanent Schmerzen im Rücken, der Schulter, den Oberarmen. Auch die Hüfte der 44-Jährigen will nicht mehr so richtig.

Bei der Rückkehr ins nächtliche Agadir grüßt schon von weitem der Hausberg, auf dem die Kasbah steht. Riesige arabische Schriftzeichen strahlen wie immer die staatliche Hackordnung in die Dunkelheit hinein: "Gott, König, Volk."

Reisetipps

Direktflüge von Frankfurt am Main nach Agadir gibt es ab 330 Euro (www.tuifly.com). Air Maroc fliegt Agadir über Casablanca an. Dieser Flug kostet rund 350 Euro. (www.royalairmaroc.com) Unterkünfte: Zeitgemäße und geschmackvolle Zimmer bietet das 4-Sterne-Hotel Royal Atlas, pro Nacht liegen die Preise zwischen moderaten 30 und 50 Euro, mit Wellnessbereich, direkt an der Strandpromenade gelegen. Für einen Zwischenstopp auf der Fahrt nach Tafroute und Tiznit empfiehlt sich das entzückend sanierte Palais Elkhaima von Omar, hier kostet die Nacht rund 10 Euro. Bahir und seinen Fahrservice bucht man unter www.nst.agadir@yahoo.fr oder vor Ort unter Tel. 0528/20 48 49. Weitere Infos beim Marokkanischen Fremdenverkehrsamt www.visitmorocco.com