"Keine Kürzungen" - auf der Großdemonstration am 26. März in London

Von Christian Bunke

Am 26. März gab es in London die größte Gewerkschaftsdemonstration der jüngeren britischen Geschichte gegen das Sparpaket der britischen Regierung. Am 30. Juni streikten 750.000 Menschen gegen Rentenkürzungen und die geplanten Verlängerungen der Lebensarbeitszeit. Aufgerufen hatten unter anderen die Gewerkschaft für Staatsangestellte PCS, die Lehrergewerkschaft NUT und die Gewerkschaft für Lehrende an Colleges und Universitäten UCU. "Wir haben gemeinsam demonstriert, jetzt müssen wir gemeinsam streiken, um diese Regierung zu besiegen", sagt der PCS-Generalsekretär Mark Servotka.

Wut und Härte

Anfang August brachen sich die lang aufgestaute Wut und Frustration englischer Jugendlicher Bahn. In den meisten englischen Großstädten lieferten sich Jugendliche eine Woche lang Auseinandersetzungen mit der Polizei und plünderten Geschäfte. Seitdem rollt eine Verhaftungswelle durch das Land. Gerichte und Polizei gehen mit extremer Härte gegen Jugendliche vor, eine junge Frau aus London wurde zu sechs Monaten Gefängnis verurteilt, weil sie eine Flasche Wasser im Wert von 3 Pfund 50 gestohlen hatte.

In ihrer Stellungnahme zu den Unruhen erklärten Mark Servotka und PCS-Präsidentin Janice Godrich: "Wir müssen feststellen, dass diese Unruhen nicht aus dem Nichts kamen. Wir heißen die Gewalt, die es gegeben hat, nicht gut, aber wir sagen, dass es nicht ausreicht, die Vorgänge als ‚hirnlose Kriminalität' darzustellen. Das würde bedeuten, dass wir unserer Verantwortung nicht nachkommen, nach Gründen und Lösungen zu suchen. Die Jugenderwerbslosigkeit ist so hoch wie nie, Studiengebühren werden drastisch ansteigen. Öffentliche Dienstleistungen werden vernichtet, in vielen Städten wird gerade im Jugendbereich gekürzt. Unsere Gesellschaft ist ungleich, und zwar heutzutage viel mehr, als es jemals seit den 1930er Jahren der Fall war. Wir sollten Versuchen widerstehen, unsere jungen Leute zu dämonisieren. Sie sind die größten Opfer der Krise. Die Gesetzlosigkeit der Eliten aus Finanzwesen und Politik sind das viel größere Problem, um das wir uns kümmern müssen."

Die Wirklichkeit gibt den beiden Gewerkschaftern Recht. So sollen in Manchester und Salford, wo es Auseinandersetzungen und Plünderungen gab, alle Jugendeinrichtungen aufgrund des Sparprogramms der Regierung geschlossen werden. Die Ortsgruppe der Gewerkschaft UNISON in Salford ruft deshalb die Stadtverwaltung dazu auf, diese Schließungspläne zurückzunehmen. Im August wurde auch bekannt, dass die Erwerbslosigkeit in Großbritannien steigt. Sie liegt derzeit bei 7,9 Prozent, die Jugenderwerbslosigkeit schon bei 20,2 Prozent. 949.000 aller 16- bis 24-Jährigen haben keine Arbeit.

100.000 ohne Studienplatz

Diese Situation wird durch die Krise im Bildungssektor verschlimmert. An den Universitäten soll das Lehrbudget um 80 Prozent gekürzt werden. Als Reaktion darauf verlangen viele Universitäten ab 2012 Studiengebühren von 9000 Pfund pro Jahr. Deshalb drängt noch in diesem Jahr eine Rekordzahl von Schulabgängern an die Universitäten. Über 100.000 von ihnen werden keinen Studienplatz bekommen. Berufsausbildungen wie in Deutschland gibt es nicht. Berufsorientierungsangebote wurden in vielen Städten eingestellt. Das bedeutet: Noch mehr Jugendliche werden schon bald ohne Angebot und sehr wahrscheinlich ohne Job dastehen. Die Jugenderwerbslosigkeit wird in den kommenden Monaten drastisch ansteigen.

Immer mehr Gewerkschaften und Beschäftigte werden vor Ort in rabiate Auseinandersetzungen mit den Arbeitgebern im öffentlichen Dienst verwickelt, da alle Kommunen in großem Stil Personal abbauen und schlechtere Arbeitsbedingungen durchsetzen wollen. Und das macht sich bemerkbar. So stapeln sich in Southampton die Müllberge, weil die Beschäftigten dort 500 Stellenstreichungen nicht hinnehmen wollen. In Plymouth haben die kommunalen Arbeitgeber die Vertreter der Gewerkschaft UNISON vor die Tür gesetzt, weil die Gewerkschafter Nachbesserungen bei neuen Arbeitsverträgen verlangt haben. UNISON-Vertreter/innen dürfen das Rathaus nun nicht mehr betreten; die Stadt weigert sich, mit ihnen zu verhandeln.

Die nächsten Schritte

Am 11. September trifft sich der britische Gewerkschaftsbund TUC in London, um über die nächsten Schritte zu beraten. Vor Beginn der Konferenz wird es eine Kundgebung des National Shop Stewards Networks (NSSN) geben. Das ist ein Zusammenschluss von Vertrauensleuten unterschiedlicher Gewerkschaften, der unter anderem auch von der PCS unterstützt wird. Mit der Kundgebung will das Netzwerk NSSN der Forderung nach einem 24-stündigen Generalstreik Ausdruck verleihen. "Gerade die Unruhen haben gezeigt, dass eine starke gewerkschaftliche Antwort auf die Kürzungen notwendig ist", sagte der NSSN-Vorsitzende Rob Williams.

Die PCS setzt sich schon lange für koordinierte Streiks gegen Sparpläne und Streichungen von Mitteln ein. Ähnliches sagte in der Vergangenheit auch Dave Prentis, der Generalsekretär der UNISON, Großbritanniens größter Gewerkschaft im öffentlichen Sektor. Er kündigte bereits vor Monaten eine "beispiellose Streikwelle" an, hat diese Ankündigung bisher aber nicht konkretisiert. Darum soll es am 11. September gehen. Bereits jetzt sind weitere Großdemonstrationen im Land geplant, so am 2. Oktober während des Parteitags der Konservativen in Manchester.

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