Die Botschaft ist klar. Mieten-Demo in Berlin

Ganz vorn tragen Aktive ein blaues Spruchband: "Jetzt reicht's! Gegen Mieterhöhung, Verdrängung und Armut". Um halb drei geht es los; ein Zug aus Jungen und Älteren, Wagen und einem tuckernden Traktor setzt sich in Bewegung. 6000 Menschen werden es schließlich sein, die sich an diesem heißen Samstag im September in Berlin auf den Weg durch drei Stadtbezirke machen: Neukölln, Treptow und Kreuzberg, alle drei von schnell steigenden Mieten, teuren Modernisierungen und kostspieligen Neubauten betroffen. Vier Stunden werden sie laufen, ehe die Abschlusskundgebung beginnt. Dabei sind auch Leute aus dem wohlhabenden Zehlendorf. Rund 40 Initiativen aus verschiedenen Kiezen haben sich zu der Demo zusammengetan. Jubel brandet auf, als zu Beginn plötzlich schwarze Gestalten vor dem blauen Himmel auf dem Dach eines Hauses erscheinen und ein riesiges Transparent am Haus herabrollen: "Hohe Mieten sind so gar nicht Punkrock."

Berlin: Jetzt reicht's!

Jan Aleith und Christoph Schulz vom Netzwerk "Wem gehört Kreuzberg" sind zwei der vielen Organisator/innen der Berliner Demonstration gegen die Mieterhöhungen von im Schnitt acht Prozent in den letzten zwei Jahren. Gegen die Verdrängung alteingesessener, durchschnittlich verdienender und armer Bewohner durch Luxusmodernisierung. Gegen "Gentrifizierung".

"Es war uns wichtig, dass der Zug die Route durch so unterschiedliche Gegenden genommen hat", sagt Jan Aleith. "Schon bei der Vorbereitung haben die Gruppen gemerkt: Wir sitzen alle im gleichen Boot, nicht nur in Berlin, sondern bundesweit." Mit der Demo wollten sie das Problem sichtbar machen. Alle sollten sehen, wie viele Menschen für bezahlbare Mieten auf die Straße gehen. Vernetzung sei das Hauptziel, erklärt Christoph Schulz. Es gehe um zwei Aspekte: einmal um die häufige Umwandlung von Wohnraum in Privateigentum. "Internationale Fonds haben die Immobilienwirtschaft für sich entdeckt. Ihre Renditeerwartungen sind nur zu erfüllen, wenn die Mieter vertrieben werden, wenn man die Häuser luxuriös saniert und teuer verkauft." Zum anderen geht es um die zulässigen Mieterhöhungen - alle drei Jahre um satte 20 Prozent, ohne dass die Eigentümer Geld in die Häuser investiert und die Wohnqualität verbessert haben. Jan Aleith kann ihre kürzlich im Briefkasten gelandete Mieterhöhung zwar noch bezahlen, aber bei der nächsten muss sie ausziehen. Und sie ist nicht die Einzige. Sehr vielen Leuten, sagt sie, sei inzwischen klar, dass sie nur noch drei, vier Jahre in ihrem Kiez bleiben können. "Uns reicht's", sagt Schulz. Es sei eine Doppelpackung aus steigenden Mieten und niedrigen Löhnen. Strategien zur Gegenwehr gebe es schon einige, etwa die "kulturelle Begleitung" und kleine Empfangskomitees, die auftauchen, wenn Investoren Häuser besichtigen.

Die Initiative "Karla Pappel" im Ortsteil Alt-Treptow hat sich vor mehr als zwei Jahren gegründet. Ausgangspunkt waren Pappeln, die einem Neubau mit Eigentumswohnungen Platz machen sollten. "Aber es geht nicht nur um Bäume", sagt Barbara Weidig (Name geändert). Sie haben noch ganz andere Probleme: Die Mieten steigen, einige mussten schon wegziehen aus dem vertrauten Kiez. Die Initiative recherchierte, informierte und organisierte Kiezspaziergänge. Auf der Mieten-Demo fiel Weidig auf, wie Teilnehmer auf einen Flyer reagierten, der einen leeren Kühlschrank zeigt. "So sieht es bei mir aus", haben manche gesagt. Weil die Mieten mehr als ein Drittel, oft sogar die Hälfte des Einkommens verschlingen. Weil Hartz- IV-Empfänger/innen Zwangsumzüge vermeiden wollen und deshalb einen Teil ihres Geldes, des so genannten Regelsatzes, in die Miete stecken und am Essen sparen müssen.

  • 2009: 579 Haushalte mussten wegen zu hoher Wohnkosten die Wohnung wechseln.
  • 2010 waren es 1195 Haushalte.
  • 2011: Weiterer Anstieg droht, denn jede fünfte Bedarfsgemeinschaft - fast 70.000 - liegt über der Obergrenze. Über 13.000 Umzüge wurden laut Berliner Mieterverein bisher angeordnet.

Quellen: taz und www.hartz4.de

Frankfurt/Oder: Abriss

Wie Barbara Weidig betont, sind Parteien bei der Demo nicht erwünscht. ver.dianer/innen sind jedoch dabei, mit ihrem Transparent "Die gesamte Miete übernehmen!" Das ist die Forderung der Erwerbslosen von ver.di Berlin. Sie verlangen, dass keine landeseigenen Wohnungsbestände mehr privatisiert werden und stattdessen die Zahl landeseigener Wohnungen durch Neubau und Zukauf wächst. Eine erwerbslose Krankenpflegerin berichtet am Rande der Demo von ihrer Situation: Sie teilt sich die Wohnung mit ihrem erwachsenen Sohn. Die nächste Mieterhöhung, wird sie wohl noch in diesem Jahr treffen; die landeseigene Wohnungsbaugesellschaft Gesobau hat das in der Nachbarschaft schon angekündigt. "Für uns beide darf die Wohnung 444 Euro pro Monat kosten. Mit Betriebskosten und Heizung", sagt sie. "Noch liegen wir bei 410 Euro, für 45 Quadratmeter. Aber dann?"

Aus Frankfurt an der Oder ist Joachim Wawrzyniak zur Demo gekommen. Der Ingenieur ist seit Jahren arbeitslos. Bei ver.di in Frankfurt kümmert er sich um Erwerbslose, spricht mit Menschen, die in so genannten Bedarfsgemeinschaften zusammen wohnen, begleitet sie zum Jobcenter, um ihnen den Rücken zu stärken. Denn seine Erfahrung zeigt: "Die Ängste nehmen zu." Mehr als 6000 Wohnungen seien in Frankfurt abgerissen worden, 3600 weitere sollen folgen. "Abgerissen wird natürlich der günstige Wohnraum", sagt er. "Das trifft vor allem Rentner, die sich Teures nicht leisten können. Ihnen zeigt man dann eine Ersatzwohnung, die völlig marode ist - und plötzlich wird noch ein anderes Angebot hervorgezaubert. Das ist nur leider viel teurer. So läuft das. Offiziell heißt es, es gebe kein Wohnungsproblem."

Hamburg: Demo im Oktober

In Hamburg wird die nächste Demonstration zum Thema Mieten und Wohnen vorbereitet, für den 29. Oktober, unter dem Motto "Mietenwahnsinn stoppen - Wohnraum vergesellschaften".

Der Bedarf an günstigen Wohnungen in der Hansestadt steigt, gleichzeitig stehen 1,4 Millionen Quadratmeter Büroraum leer. Deshalb gehört die Umwidmung ungenutzter Büros zu den Forderungen der geplanten Demo, ebenso wie eine verbindliche Mietobergrenze und eine Wohnungspolitik, die Wohnraum nicht als Ware behandelt, sondern als öffentliches Gut, das Menschen zum Leben brauchen.

Auf der langen Liste der Organisationen und Gruppen, die zur Demo aufrufen, steht auch die ver.di Jugend Hamburg. Der Bankkaufmann Jacob Schellenberg aus dem Landesbezirksjugendvorstand und der Student Maarten Thiele von den Bündnissen "Mietenwahnsinn stoppen" und "Recht auf Stadt" sind seit langem bei den Auseinandersetzungen in Hamburg dabei. Städtische Konflikte gibt es viele, so um die Esso-Häuser, die abgerissen werden sollen. Im November soll der nächste Hamburger Mietspiegel veröffentlicht werden. Das "Preissteigerungsinstrument", wie Schellenberg sagt. Darauf wollen sie mit der Demo aufmerksam machen, denn "nach der Veröffentlichung werden die Mieten weiter steigen". Was der Mietspiegel ermöglicht, indem er nur Neuvermietungen erfasst. "Die Politik in Hamburg geht an den Menschen vorbei", sagt Thiele. Auf dem Wohnungsmarkt mit den krass steigenden Preisen und der Verdrängung von Bewohnern aus der Innenstadt zeige sich das konkret. Im Schnitt werden in Hamburg mehr als 40 Prozent des Einkommens von den Mieten geschluckt. Das Tempo, mit dem diese Entwicklung fortschreite, sagt Schellenberg, sei das Erschreckendste daran. Wenn Leute mit sicheren Jobs früher glauben konnten, dass Mietsteigerungen und Verdrängung nur die Randgruppen bedrohen, wissen heute viele, dass sie auch bei soliden Einkommen betroffen sein können.

www.mietenstopp.blogsport.de

www.dreigroschen-verein.de

www.karlapappel.wordpress.com

www.viktoriakiez.de

www.berliner-mieterverein.de

http://erwerbslose.verdi.de

Buchtipp

Christoph Twickel: Gentrifidingsbums oder Eine Stadt für alle, Edition Nautilus

Zwangsumzüge in Berlin

In 332.000 Hartz-IV-Bedarfsgemeinschaften leben in Berlin 600.000 Menschen. In etwa 60.000 Haushalten leben Rentner von Grundsicherung. MietobergrenzeAlleinstehende: 378 EuroPaare: 444 Euro Drei Personen: 542 EuroVier Personen: 619 Euro Wer teurer wohnt, muss die Differenz selbst begleichen oder sich innerhalb von sechs Monaten eine billigere Wohnung suchen.

  • 2009: 579 Haushalte mussten wegen zu hoher Wohnkosten die Wohnung wechseln.
  • 2010 waren es 1195 Haushalte.
  • 2011: Weiterer Anstieg droht, denn jede fünfte Bedarfsgemeinschaft - fast 70.000 - liegt über der Obergrenze. Über 13.000 Umzüge wurden laut Berliner Mieterverein bisher angeordnet.

Quellen: taz und www.hartz4.de

Zwangsumzüge in Berlin

In 332.000 Hartz-IV-Bedarfsgemeinschaften leben in Berlin 600.000 Menschen. In etwa 60.000 Haushalten leben Rentner von Grundsicherung. MietobergrenzeAlleinstehende: 378 EuroPaare: 444 Euro Drei Personen: 542 EuroVier Personen: 619 Euro Wer teurer wohnt, muss die Differenz selbst begleichen oder sich innerhalb von sechs Monaten eine billigere Wohnung suchen.