Es ist ein handfester Skandal, dass die Stadt ihre eigenen Aufträge immer noch nicht nach vernünftigen Tarifbedingungen vergibt – und der Entwurf des neuen Hamburger Vergabegesetzes nicht die Verbesserungen brachte, die dringend nötig wären. Nach heftiger Kritik der Gewerkschaften hat der Senat nun zugesagt, seinen Entwurf zu überarbeiten.

Michy Ilse hat in Hamburg viele Jahre bei einem großen Callcenter gearbeitet, zuletzt als Konzernbetriebsratsvorsitzender. Dort bekamen die Kolleg*innen in der Regel Mindestlohn, derzeit wären das 12 Euro brutto die Stunde. Als sich das in Hamburg ansässige Unternehmen erfolgreich in Berlin um öffentliche Aufträge bewarb, verdienten die Kolleg*innen, die für die Corona-Hotline des Berliner Senates arbeiteten, auf einmal mehr als einen Euro pro Stunde mehr, obwohl das Projekt im Vergleich zu anderen gute Arbeitszeiten hatte und sehr einfache Ansprüche stellte. Die Kolleg*innen am Schreibtisch nebenan, die zum Beispiel für die Stadt Hamburg arbeiteten, verdienten selbst für anspruchsvollere Tätigkeiten einen guten Euro weniger.

Ungleich behandelt

Der Unterschied zwischen den beiden Gruppen: "Die einen konnten endlich von ihrem Lohn leben, die anderen mussten weiter aufstockende Leistungen beim Jobcenter beantragen, um überhaupt über die Runden zu kommen", sagt Michy Ilse, der als Betriebsratsvorsitzender die undankbare Aufgabe hatte, mit der Belegschaft diese Ungleichbehandlung in ihrem Unternehmen zu besprechen.

Ob Bremen oder Berlin, Saarland oder Thüringen, Baden-Württemberg, Niedersachsen oder Sachsen-Anhalt: "Überall sind die Vergabegesetze heute schon besser als morgen in Hamburg." Zu diesem Schluss kamen die beiden Gewerkschafterinnen Susanne Uhl und Ghazaleh Nassibi, als sie den aus dem Haus von Finanzsenator Andres Dressel (SPD) vorgelegten Entwurf des Hamburger Vergabegesetzes eingehend prüften.

So sehe das Gesetz "Mindestentgelte" vor, wo es Tariflohn heißen müsse, seien die Schwellenwerte, ab denen das Gesetz überhaupt erst Anwendung finde, so hoch angesetzt, dass die weit überwiegende Mehrzahl der Hamburger Ausschreibungen gar nicht von den Tariftreueregeln des Gesetzes erfasst werde – die Personalübernahme im ÖPNV bliebe beliebig, das Kontroll- und Sanktions- regime lasch. Zusammengefasst: "Der Hamburger Entwurf bleibt deutlich hinter dem aktuellen Standard anderer Tariftreueregelungen in Deutschland zurück", resümierten Susanne Uhl und Ghazaleh Nassibi.

Diese Kritik scheint im Senat angekommen zu sein. Denn die Finanzbehörde hat ihren Entwurf auf Eis gelegt und will ihn nun überarbeiten. "Es geht hier um mehrere hundert Millionen Euro öffentliche Aufträge, bei denen auch unsere Mitglieder korrekt behandelt werden und verdienen müssen", sagt Sandra Goldschmidt, die ver.di-Landesbezirksleiterin in Hamburg. "Wir erwarten, dass der Senat nun endlich versteht, was Tarif und Tariftreue bedeuten."

Noch ist das Gesetz nicht verabschiedet, es sind noch Verbesserungen möglich. In dem Unternehmen, in dem Michy Ilse gearbeitet hat, allerdings nicht mehr. "Die Berliner Corona-Hotline war der lukrativste Auftrag der jüngeren Firmengeschichte", sagt er. "Die Gesellschafter haben das Unternehmen aber insolvent gehen lassen, nachdem sie sich den Vorjahresgewinn aus dem Berliner Auftrag von geschätzten acht Millionen Euro haben ausschütten lassen." Mehrere hundert Leute stehen jetzt arbeitslos auf der Straße – er selbst auch: nach 15 Jahren Tätigkeit für das Unternehmen.