Das Medienecho war groß, als ver.di Ende Oktober prekäre Beschäftigung bei der evangelischen Kirche und Diakonie in Bayern anprangerte. Die ersten Ergebnisse einer Befragung von Mitarbeitervertretungen spiegelten verheerende Zustände wider: Jede Menge befristete Verträge, miese Konditionen in ausgelagerten Service-GmbHs, verordnete Teilzeit. Dass Zeitungen und Rundfunk ausführlich berichteten, zeigt: Atypische Arbeitsverhältnisse sind ein großes Problem, das immer mehr Menschen betrifft und interessiert.

Zu diesem Ergebnis ist auch ein Forscherteam des Instituts Arbeit und Qualifikation (IAQ) der Universität Duisburg-Essen gekommen. "In manchen Dienstleistungsbranchen ist prekäre Arbeit zum Normalfall geworden", stellen Claudia Weinkopf und Gerhard Bosch vom IAQ fest. Ihre Analyse von Daten aus Mikrozensus und Verdienststrukturerhebung des Statistischen Bundesamtes zeigen: Mit dem Anstieg der Gesamtbeschäftigung in Deutschland wuchs der Dienstleistungssektor - und atypische Beschäftigungsverhältnisse nahmen massiv zu. Gemeint sind Teilzeit- und befristete Stellen, Leiharbeit und Minijobs. 1996 betrafen diese Arbeitsformen nur knapp 20 Prozent aller Jobs, 2009 bereits 25 Prozent.

Leiharbeit nimmt zu

Am stärksten betroffen sind die Sektoren öffentliche und persönliche Dienstleistungen, Handel und Gastgewerbe sowie "wirtschaftliche Dienstleistungen". Hinter diesem Begriff verbergen die Statistiker die Leiharbeit, die vornehmlich im verarbeitenden Gewerbe stark expandiert. Bosch und Weinkopf haben errechnet, dass sich in den genannten drei Wirtschaftsbereichen mit fünf Millionen Personen fast 70 Prozent aller "atypisch" Beschäftigten konzentrieren. Atypische Arbeit bedeutet meist, sich für Niedriglohn zu verdingen. Im Gastgewerbe ist das laut Studie zu 76 Prozent der Fall, im Handel zu 60 Prozent. Besonders betroffen sind Frauen.

"Auch selbst gewählte Teilzeitarbeit kann zur Falle werden", schreiben die IAQ-Forscher. Dann nämlich, wenn es keinen tariflich verankerten Anspruch darauf gibt, bei veränderten Lebensverhältnissen wieder auf Vollzeit zu wechseln. Bosch und Weinkopf haben einen vergleichenden Blick auf andere Länder geworfen und festgestellt, "dass die Prekarität von Dienstleistungstätigkeiten in Deutschland besonders ausgeprägt ist". Im Umkehrschluss: Es geht auch anders, wenn die Beschäftigten und ihre Gewerkschaften es nachdrücklich genug einfordern.

Dazu haben die Delegierten des ver.di-Bundeskongresses im September bereits entsprechende Beschlüsse gefasst, die jetzt umgesetzt werden müssen. Gerhard Bosch macht eins unmissverständlich klar: Zwar seien die "atypisch Beschäftigten schwerer zu organisieren, da sie eine geringere Betriebsbindung und auch mehr berechtigte Angst vor Arbeitsplatzverlust haben". Doch wenn sich etwa ver.di für diese Klientel einsetze, sagt Bosch, gehe es nicht nur um deren Interessen, "sondern auch um den Schutz der Stammbeschäftigten, deren Löhne und Arbeitsplätze durch zunehmende Unsicherheit am größer werdenden Rand gefährdet werden".

Helga Ballauf

Schwerpunkt zu Arbeitsbedingungen bei Kirchen Seite 3