Dierk Hirschel ist Leiter des Bereichs Wirtschaftspolitik bei ver.di

Die spinnen, die Griechen. Auf dem letzten Krisengipfel retteten Merkel und Sarkozy die Hellenen vor der Pleite. Doch Undank ist der Welten Lohn. In der Wiege der Demokratie sollte nun plötzlich das Volk darüber entscheiden, ob es sich selbst die Schlinge um den Hals legen will. Giorgos Papandreou wollte Dimitri und Helena fragen, was sie von den EU-Sparauflagen halten. Ein drohendes "Nein" hätte die EU-Staatschefs dazu bewegen können, das Sparpaket nochmals aufzuschnüren. Die Finanzmärkte fanden das gar nicht lustig. Denn in Krisenzeiten dürfen nur die Märkte und nicht das Volk befragt werden.

Auch aus Sicht der deutschen Kanzlerin muss die Demokratie sich an die Spielregeln der Märkte halten. Deswegen setzte sie ihrem griechischen Kollegen die Pistole auf die Brust. Berlin und Paris drohten Athen mit dem Rausschmiss aus dem Euroclub, sollten die Griechen das Brüsseler Spardiktat ablehnen. Die Drohung wirkte. Innerhalb von 24 Stunden blies Papandreou die geplante Volksabstimmung wieder ab. Der Flirt mit der Basisdemokratie kostete den sozialistischen Ministerpräsidenten den Job. Jetzt soll eine Regierung der nationalen Einheit dafür sorgen, dass die Sparauflagen umgesetzt werden. Die Oberaufsicht hat die sogenannte Troika, Europäische Union, Europäische Zentralbank und Internationaler Währungsfonds. Seit den ersten Notkrediten wird Griechenland von Brüssel, Frankfurt und Washington regiert. Wer zahlt, schafft an. Das erinnert an die Schuldknechtschaft des Mittelalters.

Damit öffnet sich der Vorhang für den letzten Akt der griechischen Tragödie. Eine politische Alternative zum Kahlschlag ist vom Tisch. Das Land wird nun von den EU-Sparkommissaren zu Tode gespart. Bis 2014 soll Athen weitere 34 Milliarden Euro kürzen und streichen. Dies entspricht 15 Prozent der griechischen Wirtschaftsleistung. Die drakonischen Sparauflagen widersprechen dem gesunden Menschenverstand. Die bisherige Kürzungspolitik hinterließ nur verbrannte Erde. Allein dieses Jahr belastet die Sparpolitik jeden griechischen Privathaushalt mit rund 5600 Euro. Dieses Loch im Geldbeutel schwächt den Konsum. Die hellenische Wirtschaft schrumpft um über fünf Prozent. Jeder fünfte Grieche hat heute keine Arbeit. Die Steuereinnahmen brechen ein. Der Schuldenberg wächst weiter. Athen kann sich nicht aus der Krise heraussparen. Folglich wird auch die neue griechische Regierung ihre Sparziele verfehlen. Dann muss Hellas erneut in Brüssel um Notkredite betteln.

Doch damit nicht genug. Die Krise breitet sich weiter aus. Die neu errichtete Brandmauer aus XL-Rettungsschirm, Schuldenschnitt und mehr Banken-Eigenkapital wirkt nicht. Und schon wetten die Spekulanten auf den Untergang Roms. Zwar hat Italien in den letzten Jahren mehr gespart als Deutschland und Frankreich. Doch das interessiert niemanden, wenn die Herde erst einmal losgelaufen ist. Inzwischen zahlt Rom über sechs Prozent Zinsen. Berlusconi muss vor den Kapitalmärkten zu Kreuze kriechen. Die angekündigten Haushaltskürzungen werden aber die Kreislaufschwäche der italienischen Wirtschaft nur verschärfen. Zwangsläufig schnappt die Schuldenfalle zu. Italien ist der nächste Kandidat für den Rettungsschirm.

Unklar ist jedoch, ob Italien unter dem neuen Schirm auch genügend Platz findet. Auf dem letzen Krisengipfel verhinderte Merkel, dass der Rettungsschirm mit ausreichend Finanzkraft ausgestattet wurde. Der französische Vorschlag, den Rettungsschirm zukünftig durch die Zentralbank zu finanzieren, fiel durch. Stattdessen soll das fehlende Geld nun bei privaten Investoren eingesammelt werden. Bisher ohne großen Erfolg. Die einhergehende Unsicherheit nährt die Spekulation. So können die Finanzmärkte die Politik beliebig vor sich hertreiben.

Investmentbanker, Hedgefonds-Manager und Rating-Analysten bestimmen weiterhin den Preis, zu dem sich demokratische Staaten frisches Geld leihen können. Die öffentlichen Finanzen befinden sich in Geiselhaft der Kapitalmärkte. Das ist ein Stück aus dem Tollhaus

Damit muss endlich Schluss sein. Die Staatsfinanzen müssen von den Kapitalmärkten entkoppelt werden. Wie das geht, zeigen uns die USA, Großbritannien oder Japan. Dort finanzieren die Zentralbanken mit dem Kauf öffentlicher Anleihen einen Teil des Staatshaushaltes. Die Zentralbanker legen die Schuldpapiere ins Depot und geben dem Kassenwart niedrig verzinste Kredite. So wäre die Finanzierung der südeuropäischen Schuldnerländer dauerhaft gesichert. Spekulanten hätten nichts mehr zu lachen.

Dabei bleibt das Inflationsgespenst im Schrank. Preise klettern, wenn Arbeitskräfte und Produktionsmittel knapp werden, aber nicht wenn Währungswächter Staatspapiere kaufen. Zentralbankfinanzierte Staatsfinanzen ersetzen keine Verteilungspolitik, aber sie befreien die Haushaltspolitik aus Ackermanns Schwitzkasten.

Jetzt wetten die Spekulanten auf den Untergang Roms