von Bernd Mann

Ab und zu waren die Zeitungen in den letzten Monaten dünner als gewohnt. Das lag an den Angriffen der Arbeitgeber auf die Arbeits- und Lebensbedingungen der Beschäftigten in Redaktionen, Druckereien und Verlagshäusern. Und an den - inzwischen weitgehend erfolgreich abgeschlossenen - Kämpfen gegen diese Attacken. Doch es ist nicht ausgeschlossen, dass in der nächsten Zeit die gewohnte Zeitung im Briefkasten ab und an ganz ausbleibt. Und das hat seine Gründe.

Die Münchner Zeitungszusteller halten einen vermutlich einmaligen Rekord: Seit 17 Jahren tut sich bei der Vergütung für sie nichts mehr. Kein Wunder, dass der Missmut wächst. Bei der ZV Zentrum, einer von neun Zustellgesellschaften in München, laufen derzeit Tarifverhandlungen. Aus den Belegschaften weiterer Zustellgesellschaften kommt das Signal, sich den Forderungen nach einem Tarifvertrag anzuschließen.

Der Streik vor vielen Jahren

Vor langer Zeit, 1992/93, streikten viele Münchner Zusteller/innen für einen Tarifvertrag. Um den zu verhindern, wurde unter Federführung der Süddeutschen Zeitung die bis dahin bestehende Zustellgesellschaft (BZG) in zahlreiche Einzelbetriebe zerschlagen - teilweise noch mit Subunternehmen. Um die Streikwelle dann endgültig zu brechen, besserten die Einzelgesellschaften "freiwillig" die Leistungen des damals abgeschlossenen Interessenausgleichs auf. Mit der Begründung: "Damit erhalten Sie eine umfassende rechtliche Absicherung, die durch den von der Gewerkschaft geforderten Tarifvertrag nicht besser gewährleistet werden könnte." Schöne Worte, deren Halbwertzeit jedoch kürzer war als die rechtliche Wirkung eines Tarifvertrags. 17 Jahre Lohnstopp hätte es mit einem Tarifvertrag nicht gegeben.

Doch auch bei dem bisherigen Lohnstopp soll es nicht bleiben. Die neuen Pauschalvergütungen liegen noch rund 30 Prozent unter den Vergütungen von 1993 (6,7 Cent pro Werktag und 17,1 Cent pro Samstag plus Zuschläge und Sonderzahlungen). Klar erkennbar ist die Absicht der Arbeitgeber, dieses Niveau für alle Zusteller/innen durchzusetzen. Schließlich agieren bei der Süddeutschen Zeitung inzwischen die schwäbischen Sparkommissare der Südwestdeutschen Medienholding GmbH.

Mehr als gute Worte

Bei der in München zuständigen ZV Zentrum GmbH steckten die Tarifverhandlungen Ende Oktober in der Warteschleife fest. Die ist entstanden, weil der Arbeitgeber, der nichts ohne Zustimmung des Süddeutschen Verlags tun kann, in neuen Verträgen einseitig ein neues Lohnsystem mit unterschiedlichen Leistungsklassen eingeführt hat. Das Arbeitsgericht hat dazu das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats anerkannt und eine Einigungsstelle eingesetzt. Deren Entscheidung muss jetzt abgewartet werden.

Wie von Geschäftsführern zu hören ist, sind in München zurzeit mehr als 200 Zustelltouren nicht besetzt. Doch die Wertschätzung für die Zusteller/innen wächst deshalb keineswegs. Zwar investiert die SZ momentan in eine Imagekampagne und bezahlt dafür eine bekannte Werbeagentur, doch mehr Geld für die Zusteller/innen soll es weiterhin nicht geben. Deshalb wird sich der Tarifkonflikt fortsetzen. Dass die Kolleginnen und Kollegen streikfähig sind, haben sie schon mehrfach bewiesen. Und nach 17 Jahren Lohnstopp helfen allein gute Worte gegen die Sparkommissare nicht weiter.