Herbert Weisbrod-Frey ist Breichsleiter Gesundheitspolitik bei ver.di

Sozialrecht dient dazu, ein menschenwürdiges Dasein zu sichern. Es trägt dazu bei, dass die erforderlichen sozialen Dienste rechtzeitig und ausreichend zur Verfügung stehen. Das ist der Grundsatz der sozialen Sicherung in Deutschland. Die Pflegeversicherung gestaltet dieses Recht für die Pflegebedürftigen aus. Sie soll denjenigen helfen, die aufgrund der Schwere ihrer Pflegebedürftigkeit auf solidarische Unterstützung angewiesen sind. Sie soll ein möglichst selbstständiges und selbstbestimmtes Leben ermöglichen, das der Würde des Menschen entspricht.

Schon heute reichen die Leistungen der Pflegeversicherung nicht aus, diesen Grundsätzen unseres Sozialrechts Genüge zu tun. Die Pflegeversicherung zahlt je nach Pflegestufe nur bis zu einem Höchstbetrag. Und der ist seit 17 Jahren nahezu gleich geblieben. Pflegebedürftige müssen immer mehr zuzahlen. Dass der Beitrag um 0,1 Prozentpunkte erhöht wird, ändert daran nichts. Zugleich reicht bei immer weniger Menschen die Rente, um teure Heimpflege zu bezahlen oder zu Hause die erforderliche Pflege zu erhalten. Wer kann, schließt bereits heute eine private Zusatzversicherung ab. Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr, FDP, will die private Zusatzversicherung nun steuerlich fördern. Anstatt die soziale Pflegeversicherung für alle in ausreichendem Maße auszubauen und Solidarität zu stärken, soll ein "Pflege-Bahr" die freiwillige Versicherung attraktiver machen. Doch davon profitieren nur diejenigen, die erstens Steuern zahlen und zweitens überhaupt zusätzlich Geld für eine private Absicherung aufbringen können. Wer wenig oder nichts hat, profitiert nicht von einem Steuerzuschuss.

Das Prinzip "Wer hat, dem wird gegeben" ist das Gegenteil von Solidarität. Wie bereits bei der Krankenversicherung mit der Kopfpauschale wird nun in der Pflege steuerlich die Zwei- oder Mehr-Klassengesellschaft gefördert. Mit Sozialstaat hat das nichts mehr zu tun.