Norbert Aping: Liberty Shtunk! | Die Freiheit wird abgeschafft! Das verkündet der Diktator Hynkel in Charlie Chaplins genialer Anti-Hitler-Satire The Great Dictator (1940) in einem bellenden Pseudodeutsch. Seine Rede enthält den vernichtenden Dreisatz: „Demokrazi - shtunk! Liberty - shtunk! Free spreken – shtunk!“ Norbert Aping zeigt in seinem Buch, dass der Filmkünstler für die Nationalsozialisten schon vor dem Diktatorfilm ein erklärter Feind war. Lange vor der Machtergreifung 1933 hatten sie gegen Chaplin in der eigenen Presse systematisch gehetzt. Und immer diffamierten sie ihn als Juden – der er nicht war, was er aber auch nie dementierte – egal, ob es um den Menschen oder den Künstler ging.

Chaplin schrieb in seiner Autobiographie, dass er, trotz aller Schwierigkeiten im Vorfeld und der noch zu erwartenden Zensurprobleme – die USA befanden sich noch nicht im Krieg – fest entschlossen war, den Film zu machen, „denn über Hitler sollte gelacht werden.“ Aber: „Hätte ich etwas von den Schrecken der Konzentrationslager gewusst, ich hätte mich über den mörderischen Unsinn der Nazis nicht lustig machen können.“ Chaplin konnte sich für dieses Projekt die Ähnlichkeit seiner Filmfigur des Tramps mit Hitler zunutze machen. Äußerer Anhaltspunkt war der zur Verwechslung einladende Schnurrbart, bei Chaplin falsch, bei Hitler echt. Auch zahllose Karikaturen in den Blättern der Auslandspresse – die im Buch zu sehen sind – nahmen die Barttracht zum Anlass für komische Vertauschungen und Verkehrungen. Am Ende des Films nutzt der jüdische Friseur, der mit dem Diktator Hynkel verwechselt wurde, die Gelegenheit zu einer Rede, in der er genau die Werte der Freiheit und Menschlichkeit vertritt, die zuvor bestritten wurden. Hier verlässt Chaplin die Rolle und spricht als er selbst, als Humanist, zur Weltöffentlichkeit. Der Film wurde ein großer Erfolg. In Nazideutschland aber erging an die gleichgeschaltete Presse die Anweisung, den Film zu verschweigen und auch nicht dagegen zu polemisieren.Norbert Apings bahnbrechende Studie nimmt einen Künstler und seine Feinde so intensiv in den Blick, dass die Größe des Angefeindeten und die Erbärmlichkeit seiner Widersacher klar bewiesen werden. Bettina KlixVorwort von Kevin Brownlow, 2011, Schüren Verlag, 424 Seiten, mit vielen Abbildungen, 38 €


Noam Shpancer: Der gute Psychologe | Herrscht im Gefühlshaushalt eines Psychologen genug Ordnung, um am Herd des Patienten emotionale Suppen brodeln zu lassen? Ohne dass dabei das ganze Haus Feuer fängt? In seinem Debüt gewährt Shpancer, selbst Therapeut und Professor für klinische Psychologie, Einblicke in die inneren Räume eines Mannes, der tagein, tagaus menschliche Seelen durchstreift. Die Geschichte einer Patientin erinnert ihn an eigene dunkle Ecken. Und auch ihm stürzen beim Aufräumen tonnenweise Gefühle entgegen. Dann fragt er sich jedes Mal, wo seine Füße sind. Klingt verrückt, hilft ihm aber, den Boden wiederzufinden. Für eine gelungene Therapie, heißt es, bräuchte man vor allem einen „ausreichend guten Psychologen“. Den kann man hier – ganz unverbindlich – kennenlernen. Katja Hille

Albrecht Knaus Verlag, aus dem Amerikanischen von Brigitte Heinrich, 288 S., 19,99 €


Jochen Bonz, Juliane Rytz, Johannes Springer (Hrsg.): Lass uns von der Hamburger Schule reden | Trainingsjacken, deutsche Texte und die Erfindung von Diskurspop sollten die Erkennungszeichen einer Subkultur werden, die sich in Hamburg in den frühen 1990er traf. Unter dem Label „Hamburger Schule“ schrieb sie auch kommerziell Musikgeschichte und blieb mit Bands wie Tocotronic oder Blumfeld im Gedächtnis haften. War da noch wer? Ja, eine Vielzahl von Frauen, die etwa wie Bernadette La Hengst auf der Bühne bei der Mädchenband „Die Braut haut ins Auge“ oder hinter den Kulissen mitmischten. Ihre Geschichten trägt dieses Buch mit dem holprigen Untertitel „Eine Kulturgeschichte aus der Sicht beteiligter Frauen“ zusammen, in zehn Interviews, die an der Universität Bremen entstanden sind. Sehr persönlich schildern Myriam Brüger als Bookerin, Bianca Gabriel als Designerin oder Katha Schulte als Musikjournalistin diese intensive Zeit und entführen in ironischen, distanzierten und kämpferischen Rückblicken in eine Szene, in der Frauen sich lauthals ihren Platz erobert haben. Kendra Eckhorst

Ventil Verlag, 180 S., 12.90 €