In 20 der 27 EU-Mitgliedsstaaten gilt ein allgemeiner gesetzlicher Mindestlohn. Die Mehrheit dieser Staaten hat ihre Lohnuntergrenzen kürzlich angehoben. Allerdings ist besonders in den Euro-Krisenstaaten der Druck auf den Mindestlohn spürbar. Das geht aus dem neuen Mindestlohnbericht des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung hervor. Nach Meinung der Experten drohen der konjunkturellen Entwicklung in den angeschlagenen Ländern dadurch zusätzliche Risiken.

"Obwohl zwischen der aktuellen Verschuldungsproblematik und der Entwicklung der Mindestlöhne kein direkter ökonomischer Zusammenhang besteht, wird unter dem Druck der EU eine restriktive Mindestlohnpolitik mittlerweile als fester Bestandteil der derzeit vorherrschenden rigorosen Sparpolitik gesehen", sagt WSI-Experte Thorsten Schulten. Er geht davon aus, dass die Mindestlöhne in den Euro-Krisenstaaten unter Druck bleiben werden.

Das liege vor allem an Auflagen, die EU, Europäische Zentralbank und Internationaler Währungsfonds den Regierungen machen. So habe sich der Währungsfonds in Portugal ein "faktisches Vetorecht" gegen Erhöhungen des Mindestlohnes einräumen lassen. In Spanien kündigte die Regierung ein Abkommen mit den Gewerkschaften, das eine längerfristige strukturelle Erhöhung des Mindestlohns vorgesehen hatte. Griechenland und Irland haben ihren Mindestlohn ebenfalls gekürzt.

Geringer als in den Vorjahren

In den europäischen Ländern, die kürzlich ihre Lohnuntergrenzen angehoben haben, fiel die Erhöhung meist geringer aus als in den Vorjahren. Durch die höhere Inflation waren die realen Zuwächse meist bescheiden, in mehreren Ländern wurden sie ganz aufgezehrt.

Allerdings gab es auch Ausnahmen: Ungarn erhöhte seinen Mindestlohn real um gut 15 Prozent. In Polen und Bulgarien stiegen die Lohnminima inflationsbereinigt um vier und um acht Prozent. Spitzenreiter in der EU ist Luxemburg mit 10,41 Euro pro Stunde mindestens. In Frankreich werden jetzt 9,22 Euro gezahlt, in den Niederlanden 8,88 Euro. In Deutschland, wo bislang noch kein allgemeiner gesetzlicher Mindestlohn gilt, fordern die Gewerkschaften mindestens 8,50 Euro pro Stunde. Außerhalb der EU verfügen nach Daten der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) rund 80 weitere Staaten über eine allgemeine Untergrenze für Löhne.