Ausgabe 02/2012
Noch mehr Protest im Königreich
Turbulente Zeiten in Großbritannien. Bauarbeiter wehrten sich in einer Monate andauernden Kampagne erfolgreich gegen drohende Gehaltskürzungen von 35 Prozent. Tanklasterfahrer drohen mit Streiks. Transportarbeitergewerkschaften in London wollen die olympischen Spiele für Kampfmaßnahmen nutzen. Auch Len McLuskey, Generalsekretär der Großgewerkschaft UNITE, erklärte die olympischen Spiele zu einem möglichen Streikziel im Kampf gegen die Sparpakete im Land. Die Regierungspläne zur Privatisierung des staatlichen Gesundheitssystems NHS kommen ins Wanken und sorgen für Spaltungstendenzen in der Koalition. Gleichzeitig planen einige Gewerkschaften einen gemeinsamen Streiktag gegen Rentenkürzungen im öffentlichen Dienst für den 28. März.
Ende 2011 sah die Sache noch anders aus. Da konnte Danny Alexander, der Minister, der für die Regierung die Auseinandersetzungen mit den Gewerkschaften über die Renten führt, im britischen Unterhaus noch behaupten, die Gewerkschaften geschlagen und seine Sparziele erreicht zu haben. Was war passiert? Am 30. November 2011 hatte der größte Streiktag der britischen Gewerkschaftsgeschichte stattgefunden. Über eine Million Menschen streikten gegen den Versuch der Regierung, Beschäftigte im öffentlichen Dienst länger arbeiten zu lassen, ihnen höhere Rentenbeiträge aus der Tasche zu ziehen und sie dafür am Ende des Berufslebens mit einer niedrigeren Rente abzuspeisen.
Einige Wochen nach dem 30. November unterschrieben einige Gewerkschaften, darunter UNISON, die größte Gewerkschaft im öffentlichen Dienst, dann sogenannte "Heads of Agreement", eine Art Rahmenabkommen mit der Regierung. Die UNISON erhoffte sich dadurch ernsthafte Verhandlungen mit der Regierung zur Beilegung des Konflikts. Andere Gewerkschaften, darunter die Gewerkschaft für Staatsangestellte PCS, hielten das für Augenauswischerei. Sie erklären zwar Verhandlungsbereitschaft, fordern jedoch, dass es keine Vorbedingungen gibt. In den "Heads of Agreement" steht aber, dass die Sparziele erreicht werden müssen. Die Regierung will also nur über die Umsetzung der Sparpläne reden, nicht aber über die Sparpläne selbst.
Mitglieder stimmen für Streik
Die unterschiedlichen Ansichten über das weitere Vorgehen wurden in den britischen Medien ausgenutzt. Dort war im Dezember und Januar viel über ein Einlenken der Gewerkschaftsbewegung in der Rentenfrage zu lesen. Doch das ändert sich nun. Eine wachsende Zahl von Gewerkschaften führt Mitgliederbefragungen über den 28. März als nächsten Streiktag durch. Darunter ist auch die Feuerwehrgewerkschaft FBU. Sie hatte am 30. November nicht gestreikt, da ihr die Regierung Verhandlungen ohne Bedingungen angeboten hatte. Diese Verhandlungen sind inzwischen gescheitert, weil die Regierung auch bei der Feuerwehr an ihren Sparzielen festhält.
Für den 28. März wird mit rund 600.000 Streikenden gerechnet. Das sind zwar weniger Menschen, als am 30. November beteiligt waren, doch die Zahl der beteiligten Gewerkschaften wächst von Woche zu Woche. Unter anderem planen sie, Teile des Gesundheitssystems und staatliche Behörden zu bestreiken. Auch kleine Gewerkschaften und Berufsverbände wie das "Royal College of Nursing" werden mitmachen.
Und es wird an einer Strategie gearbeitet, die über den Streik am 28. März hinausreicht. Die Gewerkschaften denken sowohl über weitere gemeinsame Streiktage als auch über Streiks in einzelnen Berufsgruppen nach. Für den 21. März ist eine große Gewerkschaftsdemo im Gespräch. An dem Tag wird Finanzminister Osborne den neuen Haushalt verkünden. Wichtig ist den Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes auch die Solidarität mit Aktionen in der Privatwirtschaft, etwa den Streiks im Unilever-Konzern gegen angedrohte Rentenkürzungen. Damit wurde der Konzern an den Verhandlungstisch gezwungen. Nun loten die Gewerkschaften das Potential für weiteres gemeinsames Handeln aus. Christian Bunke