Der Klassenkampf von oben mit allen Methoden der psychologischen Kriegsführung gehört mittlerweile zum Alltag deutscher Unternehmen. Das erfordert unten mutige Betriebsräte, und Belegschaften, die hinter ihnen stehen

von Günter Wallraff

Denke ich an Mitbestimmung, dann fallen mir als erstes die anderen ein: Privatunternehmer, Aktienbesitzer, Hedgefonds oder die "öffentliche Hand" und ihre Geschäftsführer. Die treffen nach wie vor die eigentlichen Entscheidungen. Betriebs- und Personalräte haben angesichts dessen wenig zu sagen. Allerdings: Ein wenig mehr haben sie zu sagen, wenn sie mutig sind; noch ein wenig mehr, wenn sie mutig sind und ihre Kolleginnen und Kollegen hinter ihnen stehen. Kürzlich bat mich der Betriebsrat eines größeren Handelshauses um Unterstützung. Die Beschäftigten wollten endlich die Bezahlung ihrer Überstunden durchsetzen. Das Unternehmen ließ Betriebsrat und Belegschaft auflaufen. Wir haben dann gemeinsam interveniert und mit Veröffentlichung gedroht. Und siehe da: Es ging.

Unverhüllter Psychoterror

Das ist leider überhaupt nicht üblich. Unternehmen schirmen wichtige betriebliche Angelegenheiten vor der Öffentlichkeit besser ab als eine Geschäftsführung ihre wahre Bilanz vor dem betrieblichen Wirtschaftsausschuss, in den der Betriebsrat seine Mitglieder entsendet. Ich rede hier nicht vom Schutz gegen Betriebsspionage. Ich meine die Arbeitsbedingungen, die Löhne, das Outsourcing durch Werkverträge, Fremd- und Subunternehmen und andere Methoden der Personalpolitik, besonders das Mobbing und das Bossing, also den unverhüllten Psychoterror.

Die öffentliche Diskussion über diese Mittel des rabiaten Klassenkampfes von oben ist hierzulande unterentwickelt und, dürftig wie sie ist, einer Demokratie unwürdig. Diese Unterentwicklung ist geradezu dramatisch, denn mit der Verschärfung der globalen Konkurrenz, der Umverteilung des Reichtums auf Kosten der übergroßen Mehrheit der Bevölkerung hat sich die Situation für die meisten Beschäftigten erschreckend verschlechtert und verschlechtert sich weiter. Acht Millionen Bundesbürger sind hochverschuldet. Aber ganz andere acht Millionen besitzen zwei Drittel des Volksvermögens, genauer: vier Billionen Euro. Es sind die zehn Prozent am untersten und die zehn Prozent am obersten Ende der Reichtumskurve. Der Riss, der durch die Gesellschaft geht, wird zunehmend zur Zerreißprobe für unsere Demokratie. Denn die Reichen werden immer reicher und die Armen immer zahlreicher!

Das alles geschieht stetig und weitgehend abgeschottet von nachhaltig wirkungsvollen öffentlichen Diskussionen. Die handelnden Unternehmen stellen höchstens Teilöffentlichkeit her. Wenn sie zum Beispiel eine gewisse Sorte Anwälte - ich habe sie in meinem letzten Buch "Aus der schönen neuen Welt" Anwälte des Schreckens genannt - in die Betriebe holen, um aktive Betriebsräte zu drangsalieren, kalt zu stellen, sozial zu isolieren und aus dem Unternehmen zu mobben. Besagtes Handelshaus hatte sich der Dienste eines dieser Anwälte versichert. Der wollte nun selbst zeigen, dass er nicht nur Seminare mit dem kämpferischen Titel "In Zukunft ohne Betriebsrat" durchführen kann, sondern dies Ziel höchstselbst zu verwirklichen in der Lage ist. Was ihm bislang, in diesem Unternehmen jedenfalls, nicht gelungen ist. Der Betriebsrat nämlich machte das Ansinnen seiner Geschäftsführung und des angeheuerten Anwalts öffentlich und damit für die Beschäftigten durchschaubar. Und den Kolleginnen und Kollegen gingen die Augen auf.

Manager mit Skrupel

Es gingen ihnen deshalb die Augen auf, weil sie merkten, dass es solchen Winkeladvokaten und ihren Auftraggebern nicht nur um den Einzelfall geht, den aktiven und nicht zu faulen Kompromissen bereiten Betriebsrat zu entfernen. Es geht ihnen ums Prinzip. Es geht Ihnen um das Prinzip ihrer Selbstbestimmung und Selbstherrlichkeit. Da stören aktive Betriebsräte, die die Interessen ihrer Kollegen im Blick haben.

Nicht alle Manager finden das toll. Einige von denen, die Skrupel haben, kenne ich selber. Sie vertrauten sich mir an und berichten, dass sie die Alleinherrschaft der oberen zehn Prozent auf Kosten aller anderen nicht mehr hinnehmen wollten. Sie sind ausgestiegen. Dieser Tage erscheint das Buch eines solchen Managers über seine Erfahrungen in namhaften Einzelhandelskonzernen. Er hat erlebt, dass der Klassenkampf von oben unter Einschluss aller Methoden der psychologischen Kriegsführung in dieser Branche buchstäblich zum Verkaufsalltag gehört.

Natürlich wird das von den oberen Etagen geleugnet. Die Herren scheuen die öffentliche Diskussion, das könnte Ärger geben. Sie machen einfach, sie handeln, sie stellen vor vollendete Tatsachen. "In Zukunft ohne Betriebsrat" ist nicht nur ein Fortbildungs-Projekt einschlägiger Arbeitgeberanwälte. Es ist ein Projekt aus dem Arbeitgeberlager. "Mitbestimmung modernisieren" heißt es beschönigend: In Zukunft sollen Betriebsräte nicht mehr informiert werden, bevor wichtige betriebliche Entscheidungen getroffen werden. Sondern erst danach. Um rechtzeitigen Widerstand unmöglich zu machen. Um die Alleinherrschaft der Verfügungsgewaltigen abzusichern. Um im Betrieb freie Hand zu haben; nicht einmal ein Quäntchen Mitbestimmung für die Beschäftigten, sondern nur noch Stimmungsmache und gute Stimmung für den eigenen Profit.

Brennpunkt Betrieb

"Brennpunkt Betrieb" ist eine Anlaufadresse für betriebliche Interessenvertretungen und Beschäftigte, die solchen Methoden ausgesetzt sind, wie sie auf diesen Seiten beschrieben werden. "Brennpunkt Betrieb" hilft, sich gegen derartige Attacken zu wehren und das Recht auf gewerkschaftliche Betätigung und individuelle Gegenwehr durchzusetzen: Durch die Vermittlung anwaltlicher, psychologischer oder gewerkschaftlicher Beratung und Unterstützung und wenn sinnvoll und gewünscht auch durch geeignete Veröffentlichungen. Das Projekt wird von Arbeit und Leben DGB/VHS NRW und der Günter-Wallraff-Stiftung organisiert und finanziert.

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