Ausgabe 06/2012
Armes Deutschland
Von Vanessa Burkert
"Es vergeht kein Tag, an dem ich mir keine Sorgen mache, wie es wohl weiter mit uns geht. Vor allem mit den Kindern. Sie müssen auf so vieles verzichten", sagt Manuela, alleinerziehende Mutter von zwei Kindern. Die Friseurin geht täglich acht Stunden arbeiten, aber ihr Gehalt reicht gerade mal für das Allernötigste, das ihr Überleben und das ihrer Kinder sichert. Der EU-Statistik zum Thema Armut zufolge gilt jeder als arm, der "weniger als 60 Prozent des durchschnittlichen Nettoeinkommens zur Verfügung hat". In Deutschland liegt diese Grenze zur Armut bei 940 Euro monatlich für Alleinstehende. Es sind aber vor allem Alleinerziehende mit mehr als einem Kind, die betroffen sind. "Diesem Verarmungstrend muss vor allem die Landesregierung entgegenwirken", sagt ein Sprecher der Landesarmutskonferenz, die im Mai zusammen gekommen ist und bei der auch Vertreter der Gewerkschaften anwesend waren. Die EU-vernetzte, gemeinnützige Organisation, bei der die unterschiedlichsten Wohlfahrtsverbände zusammenarbeiten, versteht sich als Lobby der Armen und fungiert als Berater in der Politik.
Jeder Cent zählt
"Alltägliche und wichtige Dinge des Lebens sind für mich schon eine riesige Herausforderung. Manchmal reicht das Geld noch nicht mal mehr für die zehn Euro Praxisgebühr, wenn ich krank bin", erzählt die alleinerziehende Mutter. "Bei einem Schulausflug der Kinder wird jeder Cent zusammengekratzt, der noch da ist, um ihn irgendwie zu ermöglichen. Meine Kinder sollen nicht unter der Situation leiden, und bei der Schule betteln will ich auch nicht ständig." So wie Manuela ist in Rheinland-Pfalz laut statistischem Landesamt jeder siebte Einwohner von Armut bedroht. Das sind knapp 15 Prozent der Bevölkerung. Im Jahr 2006 waren es noch 13,2 Prozent. Es sind überwiegend Menschen, die auf Sozialleistungen, vor allem auf Hartz IV, angewiesen sind. Aber auch die Zahl der "working poor", also diejenigen, die trotz einer Arbeit nicht genug zur Verfügung haben, um davon leben zu können, steigt immer weiter.
Gefühlte Armut ist das Schlimmste
"Die Armut auf dem Papier ist eine Sache, eine ganz andere die gefühlte Armut. Man merkt jeden Tag in den verschiedensten Situationen, dass man eigentlich nicht zur Gesellschaft gehört", sagt die alleinerziehende Mutter. "Wenn die Kinder neue Kleidung brauchen, reißt das ein Loch in die Haushaltskasse. Dann reicht das Geld den restlichen Monat nicht einmal mehr für ein Eis. Dazu kommt dieser Druck, mir nichts anmerken zu lassen. Ich habe Angst, dass wir noch mehr ausgrenzt werden", sorgt sie sich.
Auf das Problem der Armut in Rheinland-Pfalz, das in den letzten Jahren beständig zugenommen hat, will die Landesarmutskonferenz zum einen die Politik aufmerksam machen und zum anderen der Verarmung entgegenwirken. Mit einem offiziellen Positionspapier wollen die Mitglieder weiter auf die Landesregierung einwirken. Auch Manuela ist der Meinung, dass endlich etwas passieren muss: "Es kann doch nicht sein, dass ich trotz Arbeit ständig Angst haben muss, dass mein Geld nicht mehr reicht, um etwas zu essen zu kaufen!"
Lobby für Betroffene
Die Landesarmutskonferenz bezieht mit einem Positionspapier Stellung im Kampf gegen Armut
Am 30. Mai hat die Landesarmutskonferenz (LAK) auf ihrer Mitgliederversammlung ein Positionspapier mit dem Titel "Kampf gegen Armut in Rheinland-Pfalz" verabschiedet und leistet damit einen Beitrag zur Bekämpfung der wachsenden Armut in Rheinland-Pfalz. Als "Lobby für Betroffene", einem Zusammenschluss von Gewerkschaften, Wohlfahrtsverbänden, Vereinen, Wissenschaft und Selbsthilfeinitiativen, wollen sie vor allem die Landesregierung dazu auffordern, weiter an ihrem "Aktionsplan gegen Armut" zu arbeiten, der Teil des Koalitionsvertrags ist. "Armut ist kein Naturereignis, sondern politisch gemacht, und muss deshalb auch politisch bekämpft werden", so Franz Segbers von der LAK. Besondere Schwerpunkte des Positionspapiers sind die Verbesserung der sozialen Lage der Menschen, die von Armut betroffen sind, und die Stärkung der Teilhabemöglichkeiten dieser Bürger/innen. Um dies zu erreichen, müssen laut LAK Veränderungen in den Bereichen soziale Sicherung, Wohnsituation, Arbeits- und Ausbildungsmarkt, Gesundheit, Bildung und Teilhabe erfolgen.
Schlüssel zur Teilhabe
Im Bereich der sozialen Sicherung stehen unter anderem die Forderung nach einer wirklich armutsfesten Grundsicherung sowie der Ausbau und die finanzielle Förderung von Beratungsstellen für Betroffene und der Ausbau der qualifizierten Ganztagsbetreuung im Vordergrund. Bei der Sicherung der Wohnsituation ist laut LAK die Vermeidung von Obdachlosigkeit, durch den sozialen Wohnungsbau und somit bezahlbarer Wohnraum unumgänglich. Auf dem Arbeits- und Ausbildungsmarkt will die LAK die Einrichtung eines öffentlich geförderten und auf Dauer finanzierten Arbeitsmarktes mit armutsfesten Löhnen und die Verbesserung der Ausbildungsmöglichkeiten erreichen. Bei der Gesundheitsversorgung ist vor allem darauf zu achten, dass der Zugang zu dieser auch für arme Menschen zu gewährleisten ist. Dies gilt genauso für den Zugang zu Bildung, da dieser "ein Schlüssel zur Teilhabe" ist.